Wer sich im Archiv des Schweizer Presserats umschaut, dem wird kaum entgehen, dass sich das Germium mehr und mehr als richterliche Instanz gebärdet. Diese «Verrechtlichung» sorgt nun auch intern für Kritik.
Ganz wie die richterlichen Urteilsbegründungen kommen auch die Stellungnahmen des Presserats daher: Sie sind in die drei Abschnitte «Sachverhalt», «Erwägungen» und «Feststellungen» gegliedert und die einzelnen Absätze mit Nummern und Buchstaben durchstrukturiert.
Das war zwar schon in den ersten Stellungnahmen von 1990 so. Doch wer sich im Onlinearchiv durch die Jahre klickt, stellt fest, dass sich der Gestus des Presserats verändert hat.
Vor allem in den alles entscheidenden «Feststellungen» gab sich der Presserat früher die Mühe, zusammenfassend zu erklären, aus welchem Grund und bis zu welchem Grad etwas gegen den Journalistenkodex verstosse – oder warum etwas in Ordnung sei.
Heute kommen die «Feststellungen» als Verdikt daher: Kurz und knapp wird nur noch festgestellt, gegen welche Ziffern des Kodex ein Medium verstossen habe – oder eben nicht.
Diese Entwicklung komme nicht von ungefähr, schreibt Presserat-Vizepräsident Dominique von Burg nun in einem Beitrag im aktuellen Jahresbericht. Sie sei das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, die Form der «Feststellungen» zu vereinheitlichen und den Beschwerdeführenden klare Antworten zu liefern.
«Heute stellt sich jedoch die Frage, ob diese Form der ‚Verrechtlichung‘ für ein Gremium wie den Presserat, welches eher eine moralische Instanz als ein Gericht sein soll, passend ist», schreibt von Burg, der Ende 2020 das Präsidentenamt an die WoZ-Journalistin Susan Boos übergeben hat.
Für den ehemaligen Chefredaktor der «Tribune de Genève» ist klar: Die Entscheide über «Schuld» oder «Unschuld» sind nicht das Wichtigste. «Das Herzstück einer Stellungnahme ist die Reflexion, die zum Entscheid führt, ob der Journalistenkodex eingehalten wurde oder nicht.»
Denn letztlich gehe es doch darum, den Menschen zu erklären, warum die Journalisten und Journalistinnen ihr Vertrauen verdienen. Und die Medien daran zu erinnern, dass sie einen gesellschaftlich wichtigen Job machen. Und dass sie deshalb ein paar anspruchsvolle Berufsregeln befolgen sollten.
Dass Dominique von Burg aber gerade jetzt mit der Selbstkritik kommt, hat nicht mit dem Presserat, sondern dem Umfeld zu tun: Weil nämlich heutzutage «Ausgrenzung und Verurteilung leider die Oberhand über Diskussion und Verständnis gewonnen haben».