Die Aufregung in Deutschland war gross, als sich Reclam vor vier Jahren entschied, die Schweizer Rechtschreibung als Vorlage zu nehmen und nicht etwa dem Duden-Regelwerk zu folgen. Der Reclam-Verlag, so behauptete damals die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», sei nicht mehr «dudentreu», sondern folge künftig den Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK).
Tatsächlich hat der Reclam-Verlag den Duden nie als verbindliche Richtschnur anerkannt. Stattdessen hat er sich schon immer an den Empfehlungen der SOK orientiert.
In einer Stellungnahme des Verlags hiess es damals: «Für den Reclam-Verlag war in seiner Verlagsgeschichte der `Duden. Die deutsche Rechtschreibung` niemals die verbindliche Instanz in Sachen Rechtschreibung.»
Und weiter hiess es damals: «Reclam folgt nicht erst neuerdings den Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz, sondern orientiert sich seit deren Konstituierung an ihnen, folgt diesen allerdings auch nicht in allen Punkten.»
Anscheinend ist Reclam den Empfehlungen der SOK aber nur bis 2015 gefolgt. Ein Leser hat den Klein Report darauf aufmerksam gemacht, dass man sich bei Reclam stattdessen entschieden habe, die neue amtliche Regelung in konservativer Schreibung zu übernehmen.
Der Klein Report hat bei Reclam nachgefragt. «Für den Kernbereich des Reclam-Verlags, die Ausgaben deutscher Klassiker, gab es immer hauseigene Modernisierungsregeln. Dieser Programmbereich ist von den Richtlinien der SOK faktisch nie tangiert worden, da die Orthographiesegmente, in denen die SOK von den amtlichen Regeln abweichende Schreibungen empfiehlt, bereits durch die auf Wahrung von Sinn und Lautstand der historischen Texte abzielenden Hausregeln abgedeckt wurden», erklärt Wilfried Vollmer, Lektor bei der Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, gegenüber dem Klein Report.
«Richtig ist aber, dass wir die zeitweilige Orientierung an den SOK-Regeln bei Neuerscheinungen seit 2015 zugunsten der geltenden amtlichen Regeln aufgegeben haben, wobei wir bei Varianten die konservative Schreibung bevorzugen. Ein Verlag, der in starkem Masse von verschiedenen Zielgruppen im Schulbereich abhängig ist, kann es sich nicht erlauben, an einer Orthographie festzuhalten, die nicht mit dem offiziellen Standard übereinstimmt», so Vollmer weiter.
«Wir sehen damit der Tatsache ins Auge, dass die Neuregelung - die unseres Erachtens gewiss keine bessere, aber doch eine akzeptable neue Konvention festlegt - dauerhaft Geltung behalten wird», so Vollmer abschliessend.
Und was sagt die SOK zur Entscheidung von Reclam? «Der Reclam-Verlag hat die Empfehlungen der SOK seinerzeit ohne Rücksprache mit uns übernommen. Das hat aber den auffälligsten Bereich nicht betroffen, das Eszett, zu dem die SOK keine Empfehlungen gibt», sagt Stefan Stirnemann von der SOK gegenüber dem Klein Report.
«Auch die Abstandsnahme erfolgte ohne Rücksprache. Wenn der Verlag schreibt, man habe die Neuregelung in konservativer Auslegung übernommen, ist er nach wie vor mit der SOK einig. Die wichtigste Empfehlung lautet: Bei Variante die herkömmliche. Es ist absehbar, dass dieser Grundsatz in weiteren Bereichen der Rechtschreibung angewendet werden wird.»