Das Mass ist voll: 128 Redaktorinnen und Produktionsmitarbeitende von «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» und den Tamedia-Mantelredaktionen haben genug davon, dass der Verlag von der Zürcher Werdstrasse seine Leser mit versteckten Werbeformen immer wieder zum Narren hält.
Sie fordern von Verleger Pietro Supino, dass die Verwässerung von redaktionellen Inhalten und kommerzieller Werbung sofort aufhört. Am Montagmorgen haben sie an Supinos Adresse einen Protestbrief geschickt: «Nicht in unserem Namen!», lautet die eindeutige Botschaft, die 128 Tamedia-Journalisten namentlich unterzeichnet haben.
«Tamedia publiziert seit Monaten ganzseitige, textlastige Anzeigen, die in Layout, Schrift, ja Autorenschaft («Mark van Huisseling») eindeutig darauf abzielen, den Leser über ihren Anzeigencharakter zu täuschen und vorgaukeln, es handle sich um redaktionellen Inhalt», heisst es im Brief an Pietro Supino. Diese «offensichtliche Täuschungsabsicht» widerspreche den Richtlinien des Presserats.
Das Journalisten-Gremium hatte bereits in einer Stellungnahme vom 16. Mai festgehalten, dass der Tamedia-Verlag mit getarnten, kaum erkennbaren Formen von Native Advertising in seinen Zeitungen gegen die «Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» verstösst.
Doch die Presserats-Schelte hat bei Tamedia offenbar nicht zum erhofften Umdenken geführt. «Wir Journalistinnen und Journalisten sind empört darüber, dass der Verlag trotzdem unvermindert an solch täuschenden Anzeigen festhält», wird im Schreiben zuhanden von Pietro Supino bilanziert.
Ein Tamedia-Journalist, der zu den Mitunterzeichnenden des Protestbriefs gehört, erklärte dem Klein Report: «Es findet eine gefährliche Konditionierung statt. Als Leser fällt man immer wieder auf Sponsored Content rein und merkt nicht oder viel zu spät, dass es sich um bezahlte Werbung handelt. Das führt dazu, dass man generell misstrauisch wird und sich irgendwann auch bei der Lektüre eines ‚gewöhnlichen’ Beitrags fragt, ob nicht doch noch irgendwo im Kleingedruckten ein ‚Sponsored’- oder ‚Anzeige’-Verweis auftaucht.»
Die Glaubwürdigkeit aller Journalisten und Medien leide darunter, wenn die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung systematisch verwischt oder eingerissen werden. Die Grenze des Tolerierbaren sei nun überschritten worden, finden die Redaktorinnen und Mitarbeitenden von Tamedia, die den Brief unterzeichnet haben.
Ihre Forderung an Pietro Supino ist unmissverständlich: «Wir protestieren gegen jede Form von Anzeigen mit täuschender Absicht und fordern Sie und den Verlag dazu auf, diese Praxis umgehend einzustellen.»
Dass sich ausgerechnet Tamedia über die Richtlinien des Schweizer Presserats hinwegsetzt, zeugt von einer Doppelmoral: Supino ist nämlich nicht nur Verleger der Tamedia, sondern gleichzeitig auch Präsident des Verbands Schweizer Medien. Und eben dieser Verlegerverband gehört neben Impressum, SSM, Syndicom, SRG und dem Verein «Konferenz der Chefredaktoren» zu den Trägern der Presserats-Stiftung.
Der Verband Schweizer Medien und Pietro Supino zählen somit eigentlich zu den wichtigsten Befürwortern der Journalisten-Standards des Presserats.