Der «Tages-Anzeiger» hatte im September 2010 aus dem Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission zur BVK (PUK BVK) zitiert, bevor dieser öffentlich zugänglich war. Der Kantonsrat des Kantons Zürich reagierte auf mehrere Artikel von Arthur Rutishauser, die später auch in der «Weltwoche» zu einem Artikel führten, mit einer Strafanzeige bei der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und einer Beschwerde beim Presserat.
Die Anzeige reichte der Kantonsrat wegen Amtsgeheimnisverletzung, Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen und Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung ein. Vor gut einem Jahr habe ein Zürcher Stadtrichter das öffentliche Interesse an der Berichterstattung höher gewichtet als das Interesse der Geheimhaltung, sagte Rutishauser, Chefredaktionsmitglied des «Tages-Anzeigers», gegenüber dem Klein Report. «Der Kantonsrat hat im September aber offenbar nochmals eine Strafanzeige eingereicht.» Bisher habe es in dieser Angelegenheit aber noch nicht einmal eine Befragung gegeben.
Trotz des hängigen Rechtsverfahrens entschied der Presserat, die Beschwerde zu behandeln. «Bei der Beschwerde des Kantonsrats Zürich stellt sich eine Grundsatzfrage, zu der sich der Presserat bisher noch nie explizit geäussert hat: Wie lange ist es zumutbar, mit der Publikation eines vertraulichen Berichts zuzuwarten, wenn dessen Inhalt (allenfalls in überarbeiteter Form) zwar nicht dauerhaft, aber noch längere Zeit geheim ist?», heisst es in der Stellungnahme des Rates. «Um diese Frage zu klären, tritt der Presserat trotz des parallel hängigen Strafverfahrens auf die Beschwerde ein.»
Vorgeworfen wurden dem «Tages-Anzeiger» und der «Weltwoche» eine Verletzung der Richtlinie a.1 - Indiskretionen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Der Kantonsrat monierte, es seien keine guten Gründe erkennbar, warum eine Publikation bereits im August bzw. Anfang September und nicht erst später erfolgt sei. Ein öffentliches Interesse habe diesbezüglich nicht bestanden. Auch sei das Thema oder das Dokument keineswegs dauerhaft als geheim klassifiziert oder vertraulich deklariert worden und die vorzeitige Veröffentlichung habe äusserst wichtige Interessen tangiert. Eine PUK sei für ihre Arbeit auf Vertraulichkeit angewiesen und habe das rechtliche Gehör zu garantieren. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass man ihr wesentliche Informationen vorenthalte.
Der Presserat lehnte die Beschwerden gegen die beiden Zeitungen jedoch ab. «Wie der `Tages-Anzeiger` glaubhaft ausführt, ging er Ende August davon aus, die Verabschiedung der definitiven Fassung des Berichts werde noch länger auf sich warten lassen und eine Publikation vor den Herbstferien sei deshalb nicht realistisch», so der Presserat. Unter diesen Umständen sei es nicht zumutbar gewesen, mit der im öffentlichen Interesse liegenden Publikation einen Monat oder länger zuzuwarten. Die «Weltwoche» wiederum habe dargelegt, dass ihr der PUK-Bericht nicht vorgelegen habe, weshalb sich die Beschwerde erübrige.
Auch das Argument der Vertraulichkeit lässt der Presserat in diesem Fall nicht gelten. Es sei für den Presserat konkret nicht von vornherein zu sehen, inwiefern die vorzeitige Publikation von Einzelheiten aus dem Berichtsentwurf die Arbeit der PUK beeinträchtigt haben soll, heisst es in der Begründung. «Und wenn die Betroffenen von vornherein wussten, dass der definitive Bericht offengelegt würde, erscheint es wenig wahrscheinlich, dass eine vorzeitige Veröffentlichung von Informationen aus dem Entwurf sich negativ auf die Bereitschaft der Informanten auswirkt, sich gegenüber der Kommission zu äussern.» Der Kantonsrat räume selbst ein, dass zwischen dem Berichtsentwurf und dem definitiven Bericht nur marginale Differenzen bestehen würden.
«Unter diesen Umständen fällt die Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer vorzeitigen Publikation von Einzelheiten aus dem PUK-Berichtsentwurf und dem entgegengesetzten Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit des Berichts und der Anhörung der von der PUK befragten Personen zugunsten der Veröffentlichung aus», so der Presserat.
«Angesichts der Geschichte des Falls, der nämlich auch vom Kantonsrat über fast 20 Jahre verschleppt wurde, erschien es mir unabdingbar, darüber zu berichten», so Rutishauser. «Der Kantonsrat hat seine eigene Untätigkeit im Rahmen der Debatte über den Fall ja auch eingestanden.» Ausserdem dürfe man nicht vergessen, dass die PUK erst eingesetzt worden sei, nachdem die Medien über die Vorgänge bei der BVK geschrieben hatten.