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Mittwoch
17.03.2021

Medien / Publizistik

Rüffel für den «Prättigauer und Herrschäftler»: Mit der Reprise einer achtjährigen Story wollte das Blatt nur «Gwunder» stillen, bemängelt der Presserat...

Rüffel für den «Prättigauer und Herrschäftler»: Mit der Reprise einer achtjährigen Story wollte das Blatt nur «Gwunder» stillen, bemängelt der Presserat...

Als der «Prättigauer und Herrschäftler» 2012 über eine 66-jährige werdende Mutter berichtete, war das für den Presserat in Ordnung. Nicht in Ordnung sei aber, die Story acht Jahre später nochmals aufzugreifen.

«Pfarrerin-Zwillinge gesund und munter» überschrieb der «Prättigauer und Herrschäftler» am 8. August 2020 einen Artikel, gezeichnet von Marco Schnell. Der Text erinnert daran, dass eine Pfarrerin aus Grüsch 2012 im Alter von 66 Jahren Zwillinge geboren habe. Dies nach einer künstlichen Befruchtung im Ausland.

In der Schweiz wäre dies in ihrem Alter verboten gewesen, was 2012 für Kritik gesorgt habe, heisst es weiter in der kurzen Reprise-Story. Die beiden Buben seien «mittlerweile acht Jahre alt und teilweise immer noch im Kinderwagen». Die Zwillinge kämen aus der Schule, wenn die Mutter 82 Jahre alt sei.

Nachdem die von der AG Buchdruckerei Schiers verlegte Lokalzeitung die Story 2012 zum ersten Mal veröffentlicht hatte, wurde die Protagonistin als das «älteste Mami der Schweiz» in den Deutschschweizer Zeitungen herumgereicht. Sogar die «Süddeutsche» interessierte sich für die etwas andere Familie aus den Bündner Bergen.

Doch was gehen solche Familiensachen eigentlich die Öffentlichkeit an? Im Fall der Erstveröffentlichung einiges, findet der Schweizer Presserat. 

Dem «Prättigauer und Herrschäftler» sei recht zu geben, schreibt das Gremium in seiner Stellungnahme, dass der Bericht vor acht Jahren von öffentlichem Interesse gewesen sei.

Denn damals sei es um Grundsätzliches gegangen: Ob eine Frau in diesem Alter einen solchen Eingriff vornehmen lassen dürfe, was die Moral dazu sagt oder was es für die erwarteten Kinder bedeute.

Solche Fragen hätten es 2012 laut Presserat gerechtfertigt, «einen Teil des Privatlebens dieser Frau offenzulegen, auch ohne ihre Zustimmung».

Anders jedoch bei der Reprise 2020. Hier fehlte laut Presserat jedes öffentliche Interesse. Denn an der Ausgangslage habe sich nichts Nennenswertes geändert. Dass die Frau mit ihren Kindern ins Prättigau zurückgekehrt ist, habe höchstens «Neugierde» erzeugt.

Und zwischen ernsthaftem öffentlichen Interesse und plumper Neugier trennt der Presserat bekanntlich scharf: «Im ersten Fall geht es um Fragen, welche für die Gesellschaft und ihre weitere Entwicklung von Bedeutung sind. Im zweiten geht es um das meist kurzfristige, meist oberflächliche Stillen von ‚Gwunder‘».

Mit der Wiederaufnahme habe der «Prättigauer und Herrschäftler» die Privatsphäre der Familie und speziell der Kinder verletzt, die für viele im Tal identifizierbar gewesen seien, so die Einschätzung des Presserats.