Das «Berner Modell» steht vor dem Aus. Das Manifest der Journalisten von «Berner Zeitung» und «Bund» hat weit übers Bärnbiet hinaus Wellen geschlagen. Einmal mehr wird die Medienvielfalt zu Grabe getragen.
Der Klein Report sprach mit Edith Graf-Litscher über das jüngste Trauerspiel in der Deutschschweizer Medienszene. Die Thurgauer Politikerin ist Mitglied der nationalrätlichen Fernmeldekommission.
Eine Serie zum Medienplatz Bern von Jonathan Progin, Simon Wenger und Ursula Klein.
Die Journalisten und Journalistinnen von «Bund» und «Berner Zeitung» wehren sich gegen den geplanten Stellenabbau. Wie schätzen Sie die Situation in Bern ein?
Edith Graf-Litscher: «Mit dem Manifest gegen den Stellenabbau haben die betroffenen Journalistinnen und Journalisten aufgerüttelt und ein sichtbares Zeichen gegen innen und aussen gesendet. Wichtig ist, dass der Stellenabbau sozialverträglich gestaltet und mit einem Sozialplan abgefedert wird. Ich bedaure den Entscheid aus Sicht des Personals und der lokalen Medienvielfalt.»
Der Zürcher Tamedia-Konzern will die Redaktionen von «Berner Zeitung» und «Bund» fusionieren. Wie stehen Sie zu dem Entscheid?
Graf-Litscher: «Die Weichen zu diesem Entscheid wurden bereits gestellt, als der Tamedia-Konzern die Führung über beide Zeitungen übernahm. 2018 wurden die überregionalen Ressorts fusioniert. Jetzt werden noch die letzten separaten Ressorts der beiden Zeitungen zusammengelegt. Das kommt für mich nicht überraschend, sondern war absehbar.»
Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried monierte, dass Tamedia mit diesem Schritt «die eigenen wirtschaftlichen Interessen höher gewichtet als ihre medienpolitische Verantwortung»...
Edith Graf-Litscher: «Ich teile diese Einschätzung. Der Tamedia-Konzern ist gewinnorientiert und verdient sein Geld nicht im Journalismus.»
In Bern wird der Verlust von Medienvielfalt beklagt. Gleichzeitig stehen Projekte wie «Neuer Berner Journalismus» und «Neue Berner Zeitung» sowie die Idee eines Onlinemagazins der Bewegung Courage Civil vor der Tür. Wird da auf Vorrat gejammert? Ist die Medienvielfalt tatsächlich gefährdet?
Graf-Litscher: «Kurzfristig sinkt die Medienvielfalt. Die Rodung schafft aber auch Platz und Raum für Neues, wie die genannten Beispiele zeigen. Damit die regionalen Informationen nicht zu einem Einheitsbrei verkommen, müssen wir medienpolitisch die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit Alternativen wachsen und gedeihen können.»
Und wie steht es aus Ihrer Sicht um die Medienvielfalt im Rest der Schweiz?
Edith Graf-Litscher: «Damit sie nicht noch weiter sinkt, muss sie gestärkt werden.»
Im Bundeshaus wird heftig über Medienförderung gestritten. Eine Entscheidung über das Förderpaket für Print- und Onlinemedien steht in der Sommersession bevor. Wieso soll der Staat privaten Medienunternehmen unter die Arme greifen?
Graf-Litscher: «Die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologien erfordert Investitionen. Das stellt alle Verlage vor grosse Herausforderungen. Während aber die grossen Verlage in unserem Land ihre Synergien bündeln und die Skaleneffekte nutzen können, ist dies für die kleinen und mittleren Verlage praktisch nicht möglich. Damit eine vielfältige Informations- und Diskussionsplattform und eine demokratische Auseinandersetzung auf lokaler und regionaler Ebene weiterhin möglich ist, braucht es während der Phase der Transformation die Unterstützung der öffentlichen Hand.»
...apropos öffentliche Hand: Ein bekannter Einwand lautet, dass staatlich subventionierte Medien die Hand nicht mehr beissen würden, aus der sie fressen.
Edith Graf-Litscher: «Die Rahmenbedingung bringt das Bundesgesetz für die Förderung der Online-Medien samt Holdingklausel und degressivem Fördermodell. Da das Gesetz keine Leistungsvereinbarung vorsieht und die redaktionelle Unabhängigkeit garantiert ist, besteht darin keine Gefahr, dass die unabhängige Berichterstattung gefährdet ist.»
Nach der beachtlichen Aufstockung der indirekten Presseförderung, der neuen Förderung der Onlinemedien und der Corona-Soforthilfe: Was ist der nächste Akt in der Schweizer Medienpolitik?
Graf-Litscher: «Jetzt ist es wichtig, die aktuelle Gesetzesvorlage unter Dach und Fach zu bringen und nicht jedes Jahr alles umzupflügen. Wir müssen gleichzeitig die Entwicklungen beobachten und wenn nötig rechtzeitig eingreifen.»