Das tönt wie in der Sowjetunion vor 30 Jahren: Der für Schwerverbrechen zuständige Moskauer Chefermittler soll einen kremlkritischen Journalisten, den Leiter des Investigativ-Ressorts bei der Zeitung «Nowaja Gaseta», Sergej Sokolow, in einen Wald gelockt und dort mit dem Tod bedroht haben.
Dieser ist inzwischen ins Ausland geflüchtet. Insgesamt fünf Journalisten seiner Redaktion sind in den letzten zwölf Jahren ermordet worden.
Alles begann mit der Berichterstattung Sokolows über ein Urteil zum Massenmord im Dorf Kuschtschewskaja, der Russland vor zwei Jahren erschüttert hatte.
Vor vier Wochen wurde der Beschuldigte gegen die Zahlung von umgerechnet 4'000 Franken freigelassen. «10'000 Rubel für ein Menschenleben, das ist die Preisliste des Staates», kommentierte Sokolow dieses Urteil und kritisierte Chefermittler Alexander Bastrykin und seine Ermittlungsbehörde scharf.
Daraufhin, gab «Nowaja Gaseta»-Chefredaktor Dimitri Muratow bekannt, habe Bastrykin den Journalisten eingeladen, ihn auf einem Flug ins südrussische Naltschik zu begleiten. Nach der Rückkehr habe er diesen in einen Wald in der Nähe von Moskau gelockt und mit dem Tod bedroht, nachdem er zuvor seine Leibwächter weggeschickt habe.
«Eine glatt Lüge» seien die Morddrohungen, sagte in Moskau vorgestern Chefermittler Bastrykin und dementierte alle Vorwürfe, welche die kremlkritische Tageszeitung «Nowaja Gaseta» erhoben hatte.
Der ins Ausland geflüchtete Sokolow leitet bei der «Nowaja Gaseta» das Investigativ-Ressort. Bei der Zeitung, welche Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow mitgegründet hatte, war auch die 2006 ermordete Anna Politkowskaja tätig. Neben Politkowskaja wurden in den letzten zwölf Jahren vier weitere Journalisten der kremlkritischen Zeitung ermordet.