Gleich mehrere Medien standen in den letzten Tagen in der Kritik des Presserates, darunter der «Blick» und auch die NZZ. Es stellt sich die Frage, ob die medienethischen Standards des Presserates, die Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten, überhaupt noch eingehalten werden oder ob sie langsam aber sicher zu toten Buchstaben werden.
Für Simon Canonica, der bis Ende Mai als Rechtskonsulent bei Tamedia mit solchen Fällen beschäftigt war, ist klar: «Die Erklärung halte ich durchaus noch für zeitgemäss», versichert er dem Klein Report. Die Pflichten, die in der Presserats-Erklärung statuiert werden, hält Canonica nach wie vor für sinnvoll.
Gleichzeitig weiss der ehemalige Tamedia-Rechtskonsulent aus langjähriger Erfahrung zu berichten: «Ein anderes Thema ist, ob und wie weit die Vorschriften eingehalten werden».
Der Grund dafür liege seiner Meinung nach im wachsenden Druck auf die Medienschaffenden. «Gerade das macht die medienethischen Standards aber besonders wichtig, denn langfristig wird das seriöse Medienschaffen, dessen Glaubwürdigkeit heute schon in breiten Kreisen angezweifelt wird – Stichwort Lügenpresse – das Ausfüllen der Rolle als vierte Gewalt noch schwieriger, wenn sich die Medien aus diesen Standards verabschieden wollen», mahnt Canonica.
Für ihn steht also die Glaubwürdigkeit der Medien insgesamt auf dem Spiel. Deshalb müssten sich etwa bei Tamedia die Medienschaffenden auf den Journalistenkodex verpflichten. Verstösse gegen die Standards des Presserats könnten daher arbeitsrechtliche Folgen haben, wie er weiter erklärt. «Werden Medienschaffende vom Presserat gerügt, ist und war das bei Tamedia, nicht nur, aber vor allem auf der betroffenen Redaktion, immer ein Thema.»
Fehlen solche Mechanismen in einem Medienhaus, so drohen die Regeln des Presserates toter Buchstabe zu werden: «Das Problem ist die Zahnlosigkeit des Presserates. Er hat keine Sanktionsmöglichkeiten, weshalb sich um seine Stellungnahmen foutieren kann, wer will», bringt Canonica das Hauptproblem auf den Punkt. Hinzu kommt, dass dem Presserat die hoheitlichen Befugnisse, über die etwa ein staatliches Gericht verfügt, komplett fehlen. «Deshalb kann er auch kein Beweisverfahren durchführen, was insbesondere die Behandlung von Beschwerden wegen Verletzungen der Wahrheitspflicht schwierig macht», so Canonica.
Allgemein konstatiert Canonica, dass die Verfahren in jüngster Zeit «viel zu lange» dauern: «Ich habe zum Beispiel bei meinem Abgang Ende Mai noch Verfahren anhängig gehabt, die Beschwerden betreffen, die schon vor über einem Jahr eingereicht worden sind. Einer der Trümpfe, die früher für den Presserat sprachen, nämlich die zügige Erledigung, hat dieser damit aus der Hand gegeben.»