Content:

Montag
31.05.2021

Medien / Publizistik

Martin Amrein ist Redaktor im Ressort Wissen bei der «NZZ am Sonntag» sowie Präsident des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus… (Bild: zVg.)

Martin Amrein ist Redaktor im Ressort Wissen bei der «NZZ am Sonntag» sowie Präsident des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus… (Bild: zVg.)

Vor einer Woche haben Blick Romandie und die ETH Lausanne (EPFL) eine Partnerschaft angekündigt, um «Wissenschaftsjournalismus zu produzieren», wie der Klein Report berichtet hat. Auf dem Portal sollen regelmässig Artikel und Kolumnen aufgeschaltet werden, die von EPFL-Professoren in alleiniger Verantwortung verfasst werden.

Was von Ringier als «Ausbau des Wissenschaftsjournalismus» angepriesen wird, sehen viele Wissenschaftsjournalisten als eine Verlängerung der Hochschulkommunikation in den redaktionellen Teil.

Der Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ) hat zu dieser Kooperation ein kritisches Statement abgegeben. Im Anschluss daran wollte der Klein Report von dessen Präsidenten Martin Amrein wissen, wie sich die aktuelle Situation für den Wissenschaftsjournalismus in den Schweizer Medien präsentiert.

Blick Romandie und ETH Lausanne wollen publizistisch kooperieren. Ist es nicht löblich, wenn die Professorinnen und Professoren aus ihrem Elfenbeinturm herabsteigen und die Boulevard-Zeitung häufiger über Wissenschaftsthemen berichtet?Martin Amrein: «Natürlich ist es begrüssenswert, wenn Forscherinnen und Forscher die Öffentlichkeit suchen und ihr Wissen mit der Bevölkerung teilen. Auch ist es toll, wenn der 'Blick' Wissenschaftsthemen offen gegenübersteht. Das Problem ist aber, dass es sich beim angestrebten Modell nicht um Journalismus handelt. Wie die beiden Partner letzte Woche kommuniziert haben, wird die EPFL Blick Romandie nicht nur mit Kolumnen von Professorinnen und Professoren, sondern auch mit News-Artikeln der Hochschule beliefern. Berichten Journalistinnen und Journalisten über ein Thema, ist es entscheidend, dass ihre Unabhängigkeit gewahrt ist. Genau das ist hier nicht der Fall: Hier schreiben Vertreterinnen und Vertreter einer Hochschule über ihr eigenes Arbeitsfeld, die Wissenschaft. Wissenschaftsjournalismus hat dagegen die Aufgabe, die Wissenschaft zu hinterfragen und sie mit den Bedenken und der Kritik der Öffentlichkeit zu konfrontieren.»

Was glauben Sie, was versprechen sich Blick Romandie und die ETH Lausanne von der Partnerschaft?
Amrein: «Für die EPFL ist dieser Deal ein Coup: Mit einem Schlag erreicht sie ein grosses, neues Publikum. Die Hochschule kann es nach eigenem Gutdünken mit Inhalten beliefern und dabei erst noch selber die Themen setzen. Blick Romandie wiederum kommt auf günstige Weise zu Wissensbeiträgen, die bei Leserinnen und Lesern durchaus gefragt sind. Möchte der 'Blick' aber tatsächlich seinen Wissenschaftsjournalismus ausbauen, müsste er Stellen für Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten schaffen.»

Die Meinung der Wissenschaftsjournalisten war gefragt wie selten zuvor, als das Coronavirus die Schweizer Grenze erreichte und die Bevölkerung in Angst versetzte. Bei der NZZ und der TX Group waren die Wissenschaftsressorts im Frühjahr 2020 die einzigen Ressorts, die nicht auf Kurzarbeit gesetzt wurden. Der Berliner Starvirologe Christian Drosten bezeichnete den Wissenschaftsjournalismus sogar als «Systemfunktion». Was hat die Coronakrise mit Ansehen und Funktion Ihres Berufsstands gemacht?
Amrein: «Auf dem Höhepunkt der Pandemie waren nicht nur die Beiträge von Wissenschaftjournalistinnen und -journalisten gefragt wie noch nie, sondern auch deren Expertise. Auf den Redaktionen zählte die Meinung von uns plötzlich mehr. Es wurde geschätzt, dass es ein Wissenschaftsressort gibt. Zumal ein wissenschaftlicher Hintergrund in der damaligen Hektik besonders wichtig war, um neue Forschungsergebnisse richtig einzuordnen und abzuschätzen, welche Experten mehr oder weniger qualifiziert waren, um sich zu einem Thema zu äussern.»

Bei der chronisch knappen Kasse der Verlage drohte der Wissenschaftsjournalismus nach der ersten Corona-Welle wieder in die «Nice to have»-Nische abgedrängt zu werden, wie der SKWJ vor einem Jahr warnte. Wie ist die Lage bei Ihren Kollegen und Kolleginnen in den Wissens-Ressorts derzeit?
Amrein: «In der Tat hat sich die Situation mittlerweile eher wieder normalisiert. Wissensinhalte erzeugen zwar immer noch hohe Nutzerzahlen, wie übrigens schon vor der Pandemie, aber eine Sonderrolle nehmen die Wissens-Ressorts auf den Redaktionen nicht mehr ein. Allerdings haben verschiedene Medien ihre Wissen-Ressorts ausgebaut, so etwa die 'Zeit' in Deutschland, das Westschweizer Radio RTS oder die NZZ. Und auch SRF hat angekündigt, eine neue Wissensplattform zu schaffen.»

Tamedia hat im letzten Jahr die Ressorts Kultur, Gesellschaft, Service und Wissen zum Super-Ressort Leben zusammengezogen. Die NZZ hat die Ressorts Technologie und Wissenschaft fusioniert. Wie beurteilen Sie diese publizistischen Entscheide?
Amrein: «Aus unserer Sicht ist das keine gute Entwicklung. Bei Tamedia wie auch bei der NZZ haben die Leiterinnen und Leiter dieser Super-Ressorts keinen naturwissenschaftlichen Hintergrund. Diese Perspektive ist auf den Redaktionen aber sowieso schon untervertreten. Fehlt die wissenschaftsjournalistische Sicht bei grossen Redaktionssitzungen, wo Themen gesetzt und wichtige Abwägungen vorgenommen werden, ist das nicht gerade ideal.»

Als Tamedia die Pläne fürs Super-Ressort Leben präsentierte, hiess es, dass keine Stellen abgebaut werden sollen. Das beteuern auch andere Medienhäuser bei ihren Fusionsentscheiden immer wieder. Und doch geht es allermeistens auch ums Sparen. Wie hat sich die Dotierung des Wissenschaftsjournalismus in den Schweizer Medienhäuser in den letzten Jahren entwickelt?
Amrein: «Genaue Zahlen dazu gibt es leider nicht. In den letzten fünf Jahren blieb die Zahl der Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten auf den Redaktionen auf bescheidenem Niveau einigermassen stabil. Vor allem in den Jahren zuvor gingen Stellen verloren. Sparmassnahmen gab es natürlich auch in anderen Ressorts. Die Wissenschaftsressorts waren allerdings schon immer klein, weshalb für sie die Kürzungen zur existenziellen Frage wurden. In manchen Zeitungen sind sie damals ganz verschwunden.»

Die meisten Hochschulen und Universitäten haben in den letzten Jahren ihre Kommunikation ausgebaut. Im letzten Jahr hat zum Beispiel der ETH-Bereich mit «Sciena» ein News-Portal online gestellt, das fast wie ein Wissenschaftsmagazin daherkommt. Stiehlt da die PR den Journis mehr und mehr die Show?
Martin Amrein: «Die Reputation von Hochschulen ist immer wichtiger geworden. Deshalb haben sie ihre Kommunikationsstellen massiv ausgebaut. Es spricht auch nichts dagegen, wenn sie eigene Kommunikationskanäle schaffen. Es sind aber immer noch Massenmedien wie Zeitungen, Online-Magazine, Radio und Fernsehen, die am meisten Leute erreichen. Zumal es auch im Interesse der Bevölkerung ist, sich bei unabhängigen Quellen zu informieren. Genau deshalb ist die Vermischung von institutioneller Kommunikation und Journalismus, die bei Blick Romandie vonstattengehen soll, so problematisch.»

Bei welchen Themen ist es für die Medienhäuser auch nach dem Corona-Dauerbrenner unverzichtbar, das Wissenschaftsjournalistinnen mitdenken, mitschreiben und mitreden?
Amrein: «Auch nach der Pandemie muss sich die Gesellschaft mit Themen auseinandersetzen, bei denen die Wissenschaft eine bedeutende Rolle einnimmt. Mit dem Klimawandel, der Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, der Biotechnologie oder dem Verlust der Biodiversität kommen noch ganz andere Herausforderungen auf uns zu. Dafür ist ein fundierter Wissenschaftsjournalismus, der nicht interessengeleitet ist, unentbehrlich.»