Die finanziell unter Druck stehende Keystone-SDA macht unter der neuen Leitung von Marcus Hebein einen weiteren Change-Prozess durch. Der frühere stellvertretende Chefredaktor der Austria Presse Agentur (APA) soll es als «Ober-Chefredakor» und sogenannter «Leiter multimedialer Newsroom» richten. Zupasse dürfte ihm die Schnellschuss-Subvention von zusätzlichen zwei Millionen Franken pro Jahr kommen, die die ehemalige Medienministerin Doris Leuthard noch rasch durchgewunken hat.
Im Interview mit dem Klein Report erklärt der neue «Super-Chefredaktor» aus Österreich, wie er in der Redaktion die Arbeitsabläufe verbessern will und was es mit der von ihm geforderten Multimedialität im Newsroom auf sich hat.
Sie sind nun seit März bei der Keystone-SDA. Was sind Ihre ersten Eindrücke vom Unternehmen?
Marcus Hebein: «Ich kenne das Unternehmen natürlich auch schon von meiner früheren Tätigkeit. Es hat sich vieles bestätigt. Ich bin ja auch in die Schweiz gekommen, weil ich wusste, dass es sich um eine Redaktion mit hervorragenden Journalistinnen und Journalisten handelt. Wesentlich mehr ausgeprägt ist aber beispielsweise die starke Verankerung in den Regionen.»
Wie kommt es bei den Leuten an, dass die Redaktion und der Umbau der Schweizer Nachrichtenagentur von einem Österreicher geleitet wird?
Hebein: «Ich spüre keine meiner Herkunft geschuldete Skepsis, aber das müsste die Redaktion selbst beantworten, ob ich da richtig liege. Was ich sagen kann, ist: Dem Österreicher selbst geht es nach den ersten zwei Monaten in der Schweizer Redaktion ausgezeichnet.»
Hinter der Redaktion liegt ein Kündigungsschub. Aufgrund der angespannten Personalsituation ist es auch vermehrt zu freiwilligen Abgängen gekommen. Wie beurteilen Sie die Stimmungslage?
Hebein: «Die gesamte Organisation ist noch nicht auf ´normaler Betriebstemperatur`. Alles andere wäre auch eine Überraschung, wenn man die vergangenen Monate kennt. Trotzdem: Umso bemerkenswerter ist es, dass es nach wie vor quer durch das Unternehmen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die sich mit unglaublich viel Energie und Engagement dem Unternehmen widmen und so hervorragende Dienste garantieren. Das halte ich für alles andere als selbstverständlich, davon bin ich persönlich auch sehr beeindruckt.»
Wie bringen Sie wieder Ruhe in dieses Gefüge?
Hebein: «Einer von mehreren Schwerpunkten ist auch offensive Kommunikation. Die ganze Geschichte des Change-Prozesses muss intern möglichst offen kommuniziert werden. Wenn Änderungen anstehen, dann steht die zeitgerechte Kommunikation von ´wann und warum` in den betroffenen Teams im Vordergrund. Kommunikation ist übrigens nicht immer eine reine ´Feel-Good-Disziplin`, sondern sehr oft harte Arbeit für beide Seiten. Das wird oft unterschätzt. Sehr wohl aber geschätzt, wie ich glaube und hoffe.»
Apropos Kommunikation: Sie sollen jüngst im Gespräch mit den Mitarbeitern gesagt haben, dass das bestehende Geschäftsmodell von Keystone-SDA «nicht stimmt»: Wie genau meinten Sie das?
Hebein: «Das stimmt so nicht genau, gemeint war: Die Geschäftsmodelle der Medienbranche allgemein stehen unter Druck, folglich übt das auch immensen Druck auf die Nachrichtenagentur aus. Gleichzeitig glaube ich nach wie vor an das ´Modell Nachrichtenagentur`. Ich bin zutiefst überzeugt vom Nutzen, den die Nachrichtenagentur bietet und vom Potenzial, das in der Verbindung von Qualitätsjournalismus mit Innovation und Technologie in der Zukunft steckt. Für mich zählen Nachrichtenagenturen europaweit zu den unterschätztesten Playern in der Medienbranche. Aber momentan steht für mich die erste Etappe des Change-Prozesses in den Redaktionen im Vordergrund.»
Wo setzen Sie an, um Keystone-SDA wieder auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen?
Hebein: «Erstens: Effizienz in den Workflows sicherstellen, damit wir nicht unnötig Ressourcen für die falschen Schwerpunkte verschwenden. Zweitens: Die Arbeitsabläufe von Bild, Text und Video sinnvoll verknüpfen und dort zusammenführen, wo es notwendig ist, um den Nutzen für unsere Kunden zu erhöhen. Drittens: Neue redaktionelle Services auf den Weg bringen. Viertens: Die Redaktion in Richtung anderer Unternehmensbereiche, insbesondere Vertrieb und Innovation/IT, stärker öffnen. Wir werden Vertrieb und Innovation wesentlich enger in den Newsroom integrieren, um auf Projekte und Kundenanforderungen dynamisch und schneller reagieren zu können. Und fünftens: Internationale Kooperationen und Know-How-Austausch forcieren.»
Zu Ihren grössten Aufgaben gehört die Digitalisierung der Keystone-SDA. Wie sieht die moderne Nachrichtenagentur denn Ihrer Meinung nach aus?
Hebein: «Nachrichtenagenturen müssen sich immer mehr zu ´Think Tanks` für redaktionelle Innovation in ihren Medienmärkten entwickeln. Qualitätsjournalismus steht weiterhin im Zentrum der Nachrichtenagenturen. Allerdings verkommt hochwertiger Journalismus zum Selbstzweck, wenn wir es versäumen, diese Kerndienstleistung mit möglichst hohem Nutzen für unsere Kunden zu verbinden. Das wird erreicht durch die Forcierung von Innovation und Technologie und durch die möglichst hohe Effizienz in den redaktionellen Workflows.»
Bei einer Veränderung des Unternehmens müssen auch die Mitarbeiter diesen Schritt mitmachen: Wie gelingt es Ihnen beispielsweise, aus einem SDA-Journalisten einen multimedialen Mitarbeiter zu machen?
Hebein: «Wir versuchen Änderungen und neue Arbeitsabläufe dort einzuführen, wo sie sinnvoll sind und zu mehr Nutzen für unsere Kunden führen. Alles andere ist Aktionismus, den wir uns nicht leisten können. Nicht jeder Agenturjournalist muss künftig ein ´Multimedia-Journalist` werden.»
Können Sie das anhand eines konkreten Beispiels aufzeigen?
Hebein: «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundeshaus, absolute Top-Journalisten des Landes, werden während einer Session im Nationalrat niemals Audio-, Video- oder Live-Berichterstattung zusätzlich erledigen können – der multimediale Alleskönner-Journalist ist ohnehin eine Illusion. Anders sieht es aus für Redaktoren, die sich auf einer mehrtägigen Auslandsdienstreise befinden: Da wird manchmal eine Produktion über mehrere inhaltliche Disziplinen notwendig sein.»
Was bedeutet die Multimedialität für die Aufgabenteilung in den Redaktionen?
Hebein: «Wir müssen Rollen im Newsroom - wie etwa Desk-Verantwortliche, den Chef-vom-Dienst oder Teamleiter – und die Schnittstellen zwischen den Ressorts und Lokalbüros neu definieren und intern schulen. Kurz gesagt: Für manche wird sich im Change-Prozess überhaupt nichts ändern, und das ist gut so. Für andere wird es dagegen starke Änderungen geben. Es wird im Newsroom weiterhin auch Spezialisten geben, deren Stärken und Know-How wir dringend brauchen und optimal einsetzen wollen.»
Die zentralen Büros von Keystone-SDA liegen in Bern, Zürich und Lausanne: Braucht es noch Anpassungen bei der örtlichen Organisation?
Hebein: «Der zentrale Newsroom ist in Bern. Vom Standort Zürich werden im Verlauf der nächsten Monate mehrere Redaktionseinheiten – insbesondere aus den Bereichen Sport und Bild – nach Bern wechseln. Im Vordergrund steht dabei Effizienzsteigerung, aber auch Kostenbewusstsein. Ich will nicht Mietkosten für dezentrale Einheiten tragen müssen, wenn diese Redaktionen langfristig auch rein organisatorisch besser in Bern aufgehoben sind. Das Büro in Lausanne ist bereits hervorragend strukturiert und wird die Medien in der Romandie weiterhin so kundennah wie bisher betreuen.»
Bei den Regionalbüros ist die Situation eine andere, weil Keystone-SDA für die regionale Berichterstattung vom Bund subventioniert wird. Die Unterstützung dürfte europaweit einmalig sein – zumal mit der Austria Presse Agentur (APA) auch noch eine ausländische Firma 30 Prozent der Unternehmensaktien hält. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Subventionierung und wie beeinflusst sie allenfalls Ihre Planungen?
Marcus Hebein: «Meine Planung für die erste Phase des Change-Prozesses beeinflusst dieses Thema derzeit nicht. Und ohne spezielle Vereinbarungen kommentieren zu können: Ich bin grundsätzlich Anhänger des Modells der unabhängigen Nachrichtenagenturen.»