Mehr als ein Jahr im Voraus hat 20 Minuten-Geschäftsführer Marcel Kohler am Dienstag seinen Rücktritt vorangekündigt.
Der Klein Report sprach mit ihm über seinen Entscheid, über den Prozess der Teambildung unter dem neuen Dach der TX Group und über das Gerücht, dass die zweite Pandemiewelle der Print-Ausgabe von «20 Minuten» den Todesstoss verpassen könnte.
Die Ankündigung Ihres Wechsels ist doch recht früh. Es dauert offiziell noch 14 Monate bis zu Ihrem Austritt aus der TX Group. Weshalb ist das schon heute bekannt gegeben worden?
Marcel Kohler: «Mein Entscheid ist schon einige Zeit gereift. Zum Zeitpunkt meines Rücktritts werde ich 62 Jahre alt sein. Mir ist eine geordnete, geregelte Übergabe sehr wichtig, weshalb ich meinen Rücktritt so früh angekündigt habe. Das lässt uns Zeit für die Suche nach einer geeigneten Nachfolgerin oder einem geeigneten Nachfolger. Wenn Pietro Supino nicht davon überzeugt wäre, dass ich weiterhin mit ungebrochenem Elan die Entwicklung von 20 Minuten weiter vorantreiben werde, hätten wir uns nicht für diese Lösung entschieden.»
Stehen mit Ihrem Ausscheiden weitere Umstrukturierungen im 20-Minuten-Verbund bevor?
Kohler: «Die Medienlandschaft befindet sich in stetem Wandel und 20 Minuten wird sich immer wieder neu erfinden und aufstellen müssen, um die Nummer-1-Position weiter zu halten und auszubauen. Im Zusammenhang mit meinem Rücktritt sind jedoch keine Umstrukturierungen vorgesehen.»
Gemäss Recherchen des Klein Reports wurde während des ersten Lockdowns an der Spitze der TX Group über eine mögliche Einstellung der Print-Ausgabe von «20 Minuten» gesprochen – ein nicht unlogischer unternehmerischer Gedanke, wenn durch die Behördenmassnahmen der Vertriebskanal von jetzt auf sofort praktisch wegfällt.
Marcel Kohler: «Selbstverständlich waren und sind wir gezwungen, auf die Corona-Krise zu reagieren. Wir haben die Umfänge der Printausgabe sowie die Auflage reduziert und gleichzeitig neue Vertriebsstandorte im Detailhandel erschlossen. Print hat sich auch während des ersten Lockdowns erstaunlich gut geschlagen und einen Leser-pro-Exemplar-Wert von 2,7 erreicht. Gerne dementiere ich hier nochmals nachdrücklich die kolportierten, falschen Gerüchte: Es gab und gibt keine Pläne, die Printausgabe von ‚20 Minuten‘ einzustellen.»
Können Sie dem Klein Report etwas skizzieren, wie Sie vorgegangen sind und was für ein Pendlerblatt wie «20 Minuten» (leider) vielleicht noch zu erwarten ist jetzt in der zweiten Pandemie-Welle in der Schweiz?
Kohler: «Aufgrund der Homeoffice-Empfehlung des Bundesrates sind wieder weniger Pendler unterwegs. Natürlich beschäftigt uns das. Allerdings ist der Rückgang weit weniger drastisch als in der ersten Welle. Im Oktober haben wir 82 Prozent der Auflage des Vorjahres abgesetzt. Der Umstand, dass wir im Detailhandel zahlreiche neue Boxenstandorte erschlossen haben, zahlt sich offensichtlich aus. Wir gehen diesen Weg der Distributionserweiterung konsequent weiter. Allerdings ist natürlich nicht vorhersehbar, wie sich diese zweite Welle der Pandemie noch entwickelt. Wir können daher nicht ausschliessen, dass wir weitere Massnahmen ergreifen müssen. Aber es zahlt sich für uns aus, dass wir in der digitalen Transformation sehr weit fortgeschritten sind. Unsere Online-Zahlen gehen gerade wieder durch die Decke.»
Gemäss Recherchen des Klein Reports tobt auf Unternehmensebene bei den vier Standbeinen der TX Group ein Machtkampf zwischen Ihnen und Michi Frank, CEO der Goldbach. Ist Ihr Ausscheiden in diesem Zusammenhang zu sehen?
Marcel Kohler: «Jede strukturelle Anpassung bringt es mit sich, dass die Abläufe angepasst werden und die Teams sich neu finden müssen. Bei 20 Minuten und Goldbach ist dieser Prozess noch im Gange, es zeichnen sich jedoch gute Lösungen ab. Wir sind daher zuversichtlich, dass wir mit neu definierten Prozessen zur alten Stärke zurückkehren werden und uns voll auf den Verkauf und die Entwicklung neuer attraktiver Werbeformate konzentrieren können. Der Entscheid, die Geschäftsführung von 20 Minuten auf Ende 2021 abzugeben, ist schon länger in mir gereift und steht in keinem Zusammenhang mit der neuen Firmenstruktur.»
Vom «Schweizer Journalisten» sind Sie vor ein paar Jahren zum Medienmanager des Jahres erkoren worden. In seiner Laudatio meinte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino bei der Feier damals, es sei bemerkenswert, dass jemand mit einer Drogistenlehre es soweit geschafft habe. Wie ist das bei Ihnen angekommen?
Kohler: «Ich habe mich über das Kompliment gefreut.»
Sie haben 2006 zur damaligen Tamedia gewechselt. Was waren rückblickend für Sie die grössten Erfolge bei 20 Minuten?
Marcel Kohler: «20 Minuten hat im Oktober 2020 ein Allzeithoch in der Nutzerschaft ausweisen können. Wir erreichen täglich fast drei Millionen Leserinnen und Leser. Und wir sind gemäss Medienradar des Bakoms das wichtigste Medium für die Meinungsbildung in der Schweiz. Dahinter stehen viele Jahre der Aufbauarbeit, gemeinsam mit meinem grossartigen Team, auf welches ich sehr stolz bin.»
Was war Ihr grösstes Ärgernis oder möglicherweise rückblickend eine Fehlentscheidung? Und weshalb würden Sie es aus heutiger Sicht nicht mehr so machen?
Kohler: «Ich ärgere mich täglich und ich treffe immer mal wieder falsche Entscheidungen. Wichtig ist, dass man entscheidet. Aber wenn Sie ein konkretes Beispiel wollen: Es war ein guter Entscheid, im Jahr 2013 in der Redaktion auf eine konvergente Arbeitsweise umzustellen. Aber es war ein Fehlentscheid, dies erst 2013 zu tun.»
Wie sieht Ihre berufliche Zukunft aus? Haben Sie bereits Pläne für die Zeit nach 20 Minuten?
Marcel Kohler: «Ich möchte mein Leben etwas ruhiger gestalten und mehr Zeit für die Familie und den Sport haben. Ob es künftig Möglichkeiten für Mandate auf Projektbasis oder für einen Verwaltungsrat gibt, wird sich zeigen. Es bleibt nun genügend Zeit, verschiedene Optionen zu prüfen.»