Die Print-Ausgabe von «Le Matin» gehört schon bald der Vergangenheit an. Viele Leserinnen und Leser aus der Westschweiz fragen sich nun, wie stark unter der Neupositionierung von «Le Matin» als reines Digitalprodukt mit deutlich reduzierter Redaktion die Qualität der Tageszeitung leiden wird.
Auch in der Deutschschweiz sorgt die jüngste Massnahme des Zürcher Medienkonzerns für Sorgenfalten, da der Wechsel vom Print- zum reinen Digitalprodukt bei weiteren Zeitungen Schule machen könnte. Im Interview mit dem Klein Report stellte sich Christoph Zimmer, Leiter der Unternehmenskommunikation von Tamedia, den drängendsten Fragen.
Im letzten Jahr wurde «L`Hebdo» eingestellt, nun trifft es den gedruckten «Le Matin»: Weshalb haben Print-Titel speziell in der Romandie einen schweren Stand?
Christoph Zimmer: «Die Romandie ist ein relativ kleiner Markt mit einer nach wie vor vielfältigen Medienlandschaft. Die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme von `Le Matin` sind die gleichen wie bei anderen Boulevardzeitungen in Europa: Die Einzelverkäufe sind stärker rückläufig als bei den regionalen Tageszeitungen, gleichzeitig verschiebt sich die Werbung weiter ins Netz zu Google und Facebook. Eine Zeitung wie die `Bild` in Deutschland kann aber aufgrund des viel grösseren Marktes ganz anders auf diese Entwicklung reagieren als `Le Matin`.»
Bedeutet die Einstellung der Print-Marke das Ende von recherchiertem Qualitätsjournalismus in der Westschweiz?
Zimmer: «Nein, es gibt in der Romandie zum Glück nach wie vor verschiedene, qualitativ hochstehende, bezahlte Medien, von `24 heures`, `Tribune de Genève`, `Le Matin Dimanche` oder `Bilan` aus unserem Haus bis zu `Le Temps` und mehreren regionalen Tageszeitungen.»
«Le Matin» wird zur reinen Digitalmarke: Ist dieser Schritt für Tamedia auch ein Pilotversuch, ob die Umstellung für weitere Titel in Frage kommt?
Zimmer: «`Le Matin` ist eine aussergewöhnliche Medienmarke und nicht mit unseren anderen Medien in der Deutschschweiz oder der Romandie vergleichbar. Aber natürlich hoffen wir, dass es gelingt, möglichst viele Leserinnen und Leser bei `Le Matin` zu halten und selbstverständlich werden wir Know-how zwischen `Le Matin` und den anderen Medien austauschen.»
Wie konkret sind die Ideen für lematin.ch bezügliche Finanzierung?
Zimmer: «Das digitale Angebot von `Le Matin` war bereits bisher meist kostenlos und werbefinanziert, darauf wollen wir aufbauen. Lematin.ch wird sich in Zukunft weiterhin in erster Linie über Werbung finanzieren.»
Inwiefern wird sich der Journalismus von «Le Matin» mit der Umstellung verändern, was bleibt gleich?
Zimmer: «Das Angebot wird sich über die nächsten Monate verändern, wir denken an eine neue App und neue redaktionelle Formate. Die einzigartige Positionierung von `Le Matin` in der Romandie soll aber bei der digitalen Weiterentwicklung bewahrt werden: `Le Matin` wird weiterhin pointierte, unterhaltsame und populäre News und einen hohen Anteil Sport bieten.»
Grössere Recherchen finden sich häufiger in Print-Titeln, während Online-Angebote eher auf News ausgerichtet sind: Bedeutet das, dass bei «Le Matin» künftig der Fokus stärker auf News, weniger auf Hintergründe gelegt wird?
Zimmer: «Der Schwerpunkt wird sich sicher verlagern, aber wir wollen auch mit dem kleineren Team weiterhin Eigenleistungen bieten, einfach mit Fokus digital.»
Die Redaktion schrumpft auf 15 eigene Mitarbeiter: Sind das solche, die bisher für «Le Matin»-Print gearbeitet haben oder werden sie neu rekrutiert?
Zimmer: «Das Ziel ist ganz klar, das neue Team aus den bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu rekrutieren, die eng mit der Marke verbunden sind.»
Am Freitag wird das Konsultationsverfahren eröffnet: Inwiefern gibt es überhaupt noch Spielraum - abgesehen vom Sozialplan - für Verhandlungen?
Zimmer: «Wir haben in den letzten Jahren viel versucht, um eine Perspektive für die gedruckte Ausgabe von `Le Matin` zu finden. Leider ohne Erfolg. Die Chancen, dass nun im Konsultationsverfahren ganz neue Ideen auftauchen, sind deshalb sicher nicht besonders gross, aber wir werden das Konsultationsverfahren durchführen und mögliche Vorschläge prüfen.»
Für die Redaktionskommission und die Gewerkschaften bedeutet die Kündigung der Mitarbeitenden eine Zwangsmassnahme. Diese wäre ihrer Meinung nach gar nicht zulässig, da im Kanton Waadt weiterhin ein Schlichtungsverfahren läuft. Wie stellt sich Tamedia dazu?
Christoph Zimmer: «Der geltende Gesamtarbeitsvertrag der Romandie legt fest, wie Konflikte zwischen Mitarbeitenden und Arbeitgebern geklärt werden können. Die Gewerkschaften haben sich entschieden, den Gesamtarbeitsvertrag zu umgehen und ein Verfahren mit dem Kanton Waadt einzuleiten. Während dem Verfahren ist es den Parteien untersagt, Zwangsmassnahmen wie Streiks oder kollektive Freistellungen zu ergreifen, die heutige Ankündigung fällt nicht darunter. Zudem stehen die Massnahmen unter Vorbehalt der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens.»