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Donnerstag
12.05.2016

Medien / Publizistik

Für seine Reportage «Drei Krieger», die 2015 im «Magazin» und im «Stern» veröffentlicht worden ist, ist Jan Christoph Wiechmann vor Kurzem mit dem renommierten Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet worden. Im Gespräch mit dem Klein Report erzählt der Autor, auf welchen Wegen und Umwegen die preisgekrönte Reportage entstanden ist, was die Berichterstattung aus Kriegsgebieten leisten kann und weshalb Langzeitreportagen auch in Zeiten von Tweets und Posts wichtig bleiben.

«Die Geschichte war zunächst anders geplant», rollt Wiechmann die Entstehungsgeschichte der «Krieger»-Reportage aus. «Ich wollte über das Leben eines Taliban-Kämpfers schreiben: Alltag, Training, Familienleben. Ich war in Kabul für eine andere Geschichte und bekam über einige Zwischenleute Kontakt zu einem Mann in Kundus, der den Taliban-Kämpfer Habib aus alten Zeiten kannte.»

Nach Tagen des Wartens sei ein Treffen am Rand von Kundus zustande gekommen. «Habib erschien mit drei bewaffneten Begleitern. Wir liessen Essen kommen und sprachen zunächst über den Alltag. Geholfen hat, dass der Übersetzer ihn kannte und so ein gewisses Vertrauen da war», erzählt Wiechmann.

Bald habe sich herausgestellt, dass er an Aktionen gegen Nato-Truppen beteiligt war. «Er erzählte nicht ohne einen gewissen Stolz darüber und bald auch über Details, unter anderem über den Angriff auf deutsche Bundeswehrsoldaten in Isa Khel, dem für die Deutschen blutigsten Gefecht in Afghanistan.»

«Nun interessierte mich die andere Seite. Wie erlebten die Deutschen dieses Gefecht? Ich sprach mit verschiedenen Soldaten in Deutschland und stiess auf den schwer verletzten Maik Mutschke, der nur knapp überlebt hatte.» Doch er und die Bundeswehr hätten sich zunächst skeptisch gegeben und dem Soldaten PR-Offiziere zur Seite gestellt.

Langsam habe das Eis aber zu schmelzen begonnen. «Ich begleitete ihn in den nächsten Jahren, bei der Reha in Deutschland und bei Wettkämpfen versehrter Soldaten in den USA. Er erzählte, wie ihm der amerikanische Helikopterpilot Jason La Crosse auf dem Schlachtfeld heldenhaft das Leben gerettet hatte.» So sei La Crosse zum dritten Protagonisten der Geschichte geworden, erklärt Wiechmann.

Also habe er den US-Piloten in Bayern und später in den USA besucht. «Dabei fiel mir auf, dass sich die Geschichte der drei Krieger wandelte, dass es dem verletzten Mutschke bald besser ging, der Held La Crosse aber seelische Schmerzen hatte. Habib hatte die Seiten gewechselt und war unzufrieden mit seinem neuen Status in einer Art Bürgerwehr.»

Und so hätte sich sein Fokus immer mehr geschärft: «Mich interessierten die Langzeitfolgen von Krieg, der Blick auf das Gefecht im Lauf der Zeit, der Blick auf den Feind, auf sich selbst.»

Die Recherchen im Kriegsgebiet seien schwierig gewesen, betont der Reporter, «vor allem weil man nie ganz sicher sein kann, wem zu trauen ist»: «Ist der Mittelsmann vertrauenswürdig? Wollen die Taliban einen entführen?» Man brauche viel Geduld und Zeit.

«Als ich in Kundus war, liefen aktuell jedoch keine Gefechte. Ich war also nicht der typische Kriegsreporter, mitten im Gefecht. Die grösste Gefahr sah ich in dem Augenblick, als Habib sagte, wenn ich so einfach in sein Dorf käme, würde er mich töten. Hätte ich hingegen eine Einladung, würde er für mich ein Schaf schlachten», erinnert sich Wiechmann lebhaft gegenüber dem Klein Report.

Immer wieder hören wir von entführten und ermordeten Journalisten, besonders im Nahen und Mittleren Osten. Darauf angesprochen, wie er mit solchen Gefahren und Ängsten in seiner Arbeit umgehe, meinte er, dass er sich so gut wie möglich über die Situation in der Region informiere, bevor er ins Krisengebiet fahre. «Manchmal habe ich Situationen in der Drogenhochburg Juarez in Mexiko und El Salvador als gefährlicher empfunden als etwa im irakisch-syrischen Grenzgebiet: die Drohung eines Gangmitglieds etwa oder die Gefechte zwischen Polizei und Kartellen.»

Und: «Ich sehe mich nicht als klassischen Kriegsreporter, der stets ins Gefecht will», sagt Wiechmann. Diese Berichterstattung sei wichtig, «aber ebenso wichtig finde ich die Langzeitwirkung von Krieg: Flucht, posttraumatische Belastungen, Überleben. Was macht Krieg mit den Menschen - Soldaten wie Zivilisten? Kriegsberichterstattung ist nicht nur der Bericht aus dem Gefecht.»

Die Auszeichnung mit dem bedeutenden Egon-Erwin-Kisch-Preis hat für Wiechmann auch eine medienpolitische Komponente: Er freue sich über den Preis, «weil er eine Langzeitreportage auszeichnet, die immer schwieriger zu machen ist. ’Stern’ und ‚Das Magazin’ geben volle Unterstützung und glauben an solche Reportagen, das finde ich in Zeiten von 140-Zeichen-Twitter-Botschaften wichtig.»

Immer öfter hörten Journalisten den Satz: «Das hat nichts mit der Lebensrealität unserer Leser zu tun». Er freue sich, dass eine «komplexe Geschichte» ausgezeichnet wurde, die auf drei Kontinenten und in verschiedenen Kulturkreisen spielt. Denn er beobachte, «dass wir uns gerade sehr in unseren kleinen Vorgärten bewegen. Ich sehe die Auszeichnung als Bestätigung dafür, dass Zeit, Geduld und Langzeitbeobachtung im Journalismus in dieser schnelllebigen Welt einen Platz haben.»

Und schliesslich wollte der Klein Report von Wiechmann noch wissen, welche Reportage er heute nicht schreiben würde: «Ich würde derzeit nicht nach Aleppo gehen. Ich bewundere jene Reporter, die es tun.»