Die Lage bei Keystone-SDA ist unübersichtlich. Nach dem Abbau von 36 Stellen Anfang Jahr verliessen weitere Mitarbeiter die angeschlagene Nachrichtenagentur. Offizielle Zahlen von Seiten der Unternehmensspitze gibt es dazu keine.
Im Gespräch mit dem Klein Report sagt Stephanie Vonarburg, Syndicom-Vizepräsidentin und Leiterin Sektor Medien, wie es um das Klima auf der Redaktion von Keystone-SDA zurzeit steht. Und sie kritisiert die Diskrepanz zwischen dem wachsenden Zeitdruck und der journalistischen Qualität.
Haben Sie einen Überblick über den Personalbestand bei Keystone-SDA respektive über die Kündigungen und freiwilligen Abgänge seit Anfang 2018?
Stephanie Vonarburg: «Die Personalvertretung verlangt seit Langem einen detaillierten Überblick über den Stellenetat von vor der Massenentlassung im Vergleich zum heutigen Stand. Bis jetzt weigert sich die Unternehmensleitung, dies offenzulegen, obwohl dies eine Zusicherung im Schlichtungsverfahren war.»
Gibt es Zahlen aus anderen Quellen?
Vonarburg: «Die Redaktion hat von sich aus die freiwilligen Abgänge seit Anfang 2018 gesammelt und kommt auf die Zahl von 25 Journalisten sowie 9 weiteren Mitarbeitenden.»
Weshalb kommt es überhaupt in dieser Häufigkeit zu «freiwilligen Abgängen»?
Vonarburg: «Durch den Konflikt hat das Vertrauen in die Leitung stark gelitten. Und das Vertrauen konnte noch nicht wiederhergestellt werden. Durch die Restrukturierung und den Stellenabbau hat die Arbeitsbelastung stark zugenommen und die Prozesse sind noch nicht ganz klar.»
Gibt es noch andere Gründe?
Vonarburg: «Hinzu kommt eine Unsicherheit über die Zukunft. Das Personal sieht nicht wirklich, wie die Strategie aussieht und dass sich das Management mit aller Kraft für das Unternehmen und die Mitarbeitenden einsetzt. Dabei spielen die Rabatte, die die Unternehmensleitung den Verlegern zugesteht, eine grosse Rolle. Ebenso sorgt für Unruhe, dass die regionalen Hubs in Zürich und Lausanne nach einigen Monaten bereits wieder abgeschafft und diese Aufgaben wieder auf die Zentrale verlegt werden.»
Wie erlebt das Personal die laufenden Veränderungen bei der Agentur? Wie ist die Stimmung?
Vonarburg: «Die Gemütslage ist immer noch angeschlagen. Zwar hat sich, was Information und Transparenz betrifft, seit dem Streik einiges verbessert, aber noch immer wird nicht mit offenen Karten gespielt.»
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Vonarburg: «Etwa die Ankündigung, dass im Frühling zehn Stellen abgebaut werden sollen, kam überraschend. Und der Zeitpunkt der Ankündigung am Weihnachtsessen war sehr ungünstig. Aber im Vergleich zur Ankündigung, die zu Jahresbeginn zum Streik geführt hat, geschah es jetzt doch mit Vorlaufzeit und es soll die Fluktuation berücksichtigt werden. Zudem wissen die Mitarbeitenden, dass der gute Sozialplan vom 27. Juni bereitsteht.»
Wie können Sie das Personal in diesem Prozess unterstützen?
Vonarburg: «Wir sind weiterhin im engen Kontakt mit der Redaktionskommission und der Redaktion. Wir beraten Sie beim Vorgehen gegenüber der Leitung, klären rechtliche Fragen ab, stehen ihnen mit unserer Erfahrung in anderen Fällen bei und unterstützen sie, wenn gewünscht, auch in der Kommunikation. Es ist uns wichtig, dass die Redaktionskommission der erste Ansprechpartner für die kollektiven Anliegen bleibt. Sie entscheiden, wir beraten. Auf individueller Ebene wenden sich die Mitglieder an uns, wenn es um arbeitsrechtliche Fragen geht oder wenn sie Unterstützung bei der Weiterbildung suchen.»
Können Sie als Gewerkschaft zwischen Personal und Geschäftsleitung respektive Verwaltungsrat vermitteln?
Vonarburg: «Wir vermitteln weniger. Es existiert bei Keystone-SDA kein Gesamtarbeitsvertrag. Wir stehen dem Personal und der Redaktionskommission zur Seite, damit das Personal mit der Geschäftsleitung auf Augenhöhe verhandeln oder sprechen kann. Eine noch aktivere Rolle würde uns im Konfliktfall zukommen.»
Wie offen erleben Sie den Austausch mit Geschäftsleitung und Verwaltungsrat? Gibt es die Informationssperre, die Keystone-SDA nach aussen hin aufgestellt hat, auch intern?
Stephanie Vonarburg: «Informationssperren passen eigentlich nicht zu einem Medienunternehmen. Da müssen sich die Unternehmensleitung und die neuen Medienverantwortlichen höheren Transparenzanforderungen stellen.»
Im März protestierte die Redaktion und machte auf Auflösungserscheinungen aufmerksam. Unterdessen sind weitere Abgänge dazugekommen. Wie gravierend beurteilen Sie die Situation insgesamt und besonders die personellen Engpässe?
Vonarburg: «Unter dem zunehmenden Zeitdruck leidet die Redaktion und der Engpass kann zu Qualitätseinbussen führen. Man hat weniger Zeit für mehr Arbeit und gleichzeitig müssen sich neue Prozesse einspielen. Das geht nicht ohne Einbussen. Besonders störend ist dabei, dass von der Leitung immer wieder zu hören ist, wie wichtig die journalistische Qualität sei. Diese Diskrepanz von Diskurs und Realität ist für die Mitarbeitenden belastend und untergräbt das Vertrauen in die Leitung. Die frühere Losung ´Be first, but first be right` für verlässlichen Agenturjournalismus wird auf diese Weise untergraben.»
Sie haben gesagt, im nächsten Frühjahr werden erneut zehn Stellen abgebaut. Wie hat die Redaktion auf die Nachricht reagiert? Wie lautet Ihre Einschätzung, was sind Ihre Erwartungen?
Vonarburg: «Die Nachricht, dass zunächst die weitere Fluktuation berücksichtigt wird, und die Zusicherung, dass der Sozialplan verlängert wird, haben wohl verhindert, dass die Wogen sogleich hoch gingen. Es ist dem Verwaltungsrat und der Unternehmensleitung aber zu empfehlen, diesen Abbau ohne eine einzige Entlassung umzusetzen.»