Journalismus, quo vadis? Das Rollenbild des neutralen Journalisten, der im Stile eines objektiven Beobachters möglichst ausgewogen fremde Meinungen niederschreibt, ist am Donnerstagmorgen am JournalismusTag.19 in Winterthur kritisch hinterfragt worden.
SRF-«Club»-Moderatorin Barbara Lüthi, die Politologin Regula Stämpfli und Daniel Stern von der «Wochenzeitung» (WOZ) haben darüber debattiert, unter welchen Bedingungen der Journalist auch selber politischer Aktivist sein darf.
«Wäre es an der Zeit, dass Medien eine differenzierte oder aktivistische Berichterstattung beginnen?», fragte Diskussionsleiterin Marlis Prinzing in die lebhafte Runde.
Hintergrund ihrer Frage ist unter anderem US-Präsident Trump, der Medien systematisch diffamiert und Journalisten als «Feinde des Volkes» bezeichnet. Im August 2018 haben 300 Zeitungen eine gemeinsame Aktion gestartet und sich gegen die Medienangriffe des Präsidenten zur Wehr gesetzt.
«Wichtig ist, dass sich Journalisten für die Pressefreiheit einsetzen, wenn die 'Checks and Balances' ausfallen», so Barbara Lüthi. Die SRF-Moderatorin vertrat klar die Meinung, dass sich Journalisten je nach Kontext und Land mit einer Sache gemein machen sollten - «und zwar wenn es um demokratische Werte geht, da haben wir die Plicht, einzuschreiten», bezog Lüthi Stellung.
Zwischen Lüthi und Regula Stämpfli kam es zu einem hitzigen Wortwechsel. Dabei waren sie sich im Grundsatz einig: Auch Stämpfli befürwortete, dass Journalisten ihre Neutralität unter bestimmten Bedingungen ablegen: «Wenn es um die Verletzung demokratischer Prinzipien oder von Grundrechten geht, dann sollten alle einschreiten, egal ob Bürger, Journalistin oder Verlag.»
Ein Unterfangen wie den orchestrierten Medienprotest gegen Donald Trump findet Stämpfli aber nicht ideal. «Eine konzentrierte Medienaktion mit Leitartikeln wirkt wie die klassische Front, die Trump etablieren will», analysierte die Politologin.
Daniel Stern von der WOZ gab ihr teilweise recht: «Man kann diskutieren, ob eine solche Aktion taktisch klug ist. Aber Aktivismus ist in diesem Fall natürlich angebracht. Es geht für die Medien und Journalisten schliesslich um ihre eigene Freiheit.»
Stern ging gedanklich noch einen Schritt weiter: Immer dann, wenn ein Thema direkt die Bürgerinnen und Bürger betreffe, betreffe das auch ihn als Journalisten - somit sei er automatisch aktivistisch. Wichtig sei dabei, dass für die Leserinnen und Leser klar erkennbar ist, inwieweit ein Journalist kommentierend tätig ist.
Als Beispiel nannte er den Klimawandel: «Die Medien haben das Thema seit Jahrzehnten verschlafen. Jahrelang hat man sich mit Klimaleugnern auseinandergesetzt und diskutiert, ob es den Klimawandel wirklich gibt. Das ist völliger Bullshit!» Die WOZ beziehe hierzu viel deutlicher Stellung.
Barbara Lüthi gab zu bedenken, dass es als «Service public»-Dienstleister besonders heikel sei, sich auf eine Seite zu schlagen. Als Moderatorin des SRF müsse sie neutral sein. «Das heisst aber nicht, dass alles ausgewogen sein muss. Nehme ich einen Klimaleugner in die Sendung? Dahinter setze ich ein grosses Fragezeichen. Gegenpositionen müssen vertreten sein, aber keine Klimaleugner.»
Auf Nachfrage des Klein Reports erklärte die «Club»-Moderatorin, dass sie nur Leute in ihre Sendung einladen würde, die einsichts- und damit diskussionsfähig sind. Es könne nicht sein, dass über wissenschaftliche Fakten diskutiert werde.
Regula Stämpfli sah es ähnlich. Der Klimawandel werde viel zu häufig als theoretisches Konstrukt diskutiert, obwohl sich dessen Auswirkungen bereits deutlich zeigen würden. Es liege nun an den Medien, das Themensetting entsprechend anzupassen: «Statt den Klimawandel zu theoretisieren, müssten vielmehr konkrete Beispiele aufgezeigt und analysiert werden, beispielsweise die Wasserverschmutzung, die uns direkt betrifft.»