«Wie kann gesellschaftliche Kommunikation gelingen?», formulierte Michael Haller - sozusagen als Leitfrage eines Symposiums aus Anlass seiner Emeritierung als Professor für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig. Prof. Dr. Marlis Prinzing, stellvertretende Studiengangleiterin an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln, berichtet für den Klein Report vor Ort.
Die Referenten antworteten mit scharfsinnigen Analysen, die oft zugleich Irritation und Ratlosigkeit verströmten. Die Rednerliste spiegelte drei tragende Säulen in der Karriere des versierten Grenzgängers Haller - zwischen Deutschland und der Schweiz, journalistischer Theorie und Praxis, Alltagskommunikation und philosophischer Reflexion.
Journalismus ist bedrängt: In dieser Bestandsaufnahme waren sich alle einig. Der Kostendruck ist immens, immer weniger Menschen wollen Zeit und Geld in Journalismus investieren, das Internet verändert Rollen, Funktionen und Darstellungsweisen auf Dauer. Journalismus an sich scheint infrage gestellt wie nie zuvor - selbst in demokratischen Ländern. Allerdings meist von Dritten. Sich selbst und das eigene System stellen Journalisten weiterhin lieber nicht infrage. Die Suche nach Gründen und Chancen brachte auf vielerlei Spuren.
Für den Leipziger Dekan und PR-Forscher Günter Bentele sind Medien Instanzen des Vertrauens sowie des «institutionalisierten Argwohns» gegen den Missbrauch von Vertrauen in einer Demokratie. Bentele sieht Journalisten ebenso wie Öffentlichkeitsarbeiter als Informationsvermittler und interessenorientierte Akteure im öffentlichen Vertrauensprozess, und er empfahl beiden, verständnisorientiert miteinander zu kommunizieren und Diskrepanzen zu vermeiden.
Genau so nicht, widersprach Susanne Fengler. Journalisten sollten viel kritischer sein, vor allem auch mit sich und mit ihrer Arbeit; sie sollten überdenken, was sie auf die Tagesordnung setzen, worüber sie schweigen und aus welchen Gründen. Die Dortmunder Journalistikprofessorin, die Medienselbstkontrolle im europäischen Vergleich erforscht, führte das Beispiel Ungarns an, wo ein neues Mediengesetz den Journalismus zu grossen Teilen der regierenden Partei ausliefert, und lobte, wie in Deutschland über diese Entwicklung berichtet wurde. Generell hingegen vermisst sie einen ausreichenden gesellschaftlichen Diskurs über Journalismus. Er sei aber zwingend, weil er die Aufgaben des Journalismus in der Gesellschaft legitimiere. In Rundfunk und Print sei Medienselbstkritik ein Mauerblümchen, im Netz hingegen blühe Hoffnung. Susanne Fengler zählte neue Formen der Medienbeobachtung auf, aber auch die erleichterte Teilhabe. Ein Netzkommentar erfordere weniger Zeit und Aufwand als ein klassischer Leserbrief.
«Journalisten, die sich aufregen, werden sich ihrer im Wortsinn selbst bewusst», knüpfte Carsten Brosda an. Für den Kommunikationschef des SPD-Parteivorstands in Berlin haben Journalisten die Aufgabe, öffentlichen Diskurs und Reflexion zu ermöglichen, sie sind sozusagen Experten für Zusammenhänge. Reduziere sich Journalismus hingegen auf öffentlichen Klatsch, dann schaffe er sich selbst ab.
Thomas Leif (Chefreporter des Südwestrundfunks, Mainz), lenkte den Blick auf die Gefährdung des Journalismus durch Lobbyisten und bot einen Ausweg an: Weil Lobbyisten sich dem System der Öffentlichkeit entziehen, haben sie kein Recht auf öffentliche Teilhabe. Dessen müssen sich Journalisten endlich bewusst werden, verlangte Leif.
Volker Lilienthal (Professor für Qualitätsjournalismus, Hamburg), erinnerte an journalistische Tugenden - von der Relevanzprüfung bis hin zu Haltung und Rückgrat. Lilienthal will, dass die Branche sich neu auf diese Werte verständigt und dass Journalisten abwägen, ob und inwiefern sie instrumentalisiert werden, indem sie hinterfragen, wem welche Art von Berichterstattung nützt.
Jens Jessen (Feuilleton-Chef, «Die Zeit», Hamburg) sieht Medien - und speziell das politische Feuilleton - in der Pflicht, offene Debatten von grundlegendem Wert für die Gesellschaft zu führen. Er beklagt, dass manche Medienhäuser heute kalkulieren, wie sie dank des Images der Leitartikel von gestern heute Nebenprodukte wie Reisen oder Kochtöpfe gut verkaufen. Vor allen Dingen aber bedauert er einen Zerfall des Allgemeinwissens, zu dem auch Medien viel beitragen.
Die Diskussion kreiste oft um Schuldzuweisungen: ungenügende Lehrer, lästige PR-Leute, raffinierte Lobbyisten, verantwortungslose Verleger, «theoretisch imprägnierte» Forscher ohne Praxisbezug, träge Studierende, die statt mit Herzblut orientiert am vermuteten Nutzen lernen ... Mancher Vorwurf ist berechtigt, verfängt aber nicht bei jedem. Eines hingegen trifft für alle zu: Jeder - Journalist, Ausbilder, Forscher, Verleger, Bürger… - ist aufgerufen, auf seinem Posten beizutragen, dem Journalismus aus der Bedrängnis zu helfen.
Medienkultur und kommunale Öffentlichkeit, Printjournalismus, Medienethik und Qualitätssicherung sind Lehr- und Forschungsbereiche von Michael Haller. Er gehört noch zu jenen in diesem Fach selten gewordenen Menschen, die beste eigene Praxiskenntnis haben. Er studierte Philosophie-, Sozial- und Politikwissenschaften in Freiburg und Basel, und doktorierte; dann war er leitender Redaktor bei der Basler «National-Zeitung» und Autor bei der «Weltwoche», danach Redakteur und Reporter beim «Spiegel» in Hamburg sowie Ressortleiter bei der «Zeit» - bis zu seinem Ruf an die Uni Leipzig 1993. Haller entwickelte neue Zeitschriftentitel, erfand die internationale Fachzeitschrift «message» und entwickelte die «Leipziger Schule»: ein Diplomstudium - Journalistik plus zweites Hauptfach - mit integriertem Volontariat.
Wie lange es das noch gibt, ist ungewiss. Zurzeit hört man aus Leipzig allerlei. Anfang Januar billigte der Institutsrat der Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) ein Strategiepapier, durch das die Kapazitäten der Journalistik halbiert würden auf 20 Studienplätze und von zwei Professuren auf eine plus Juniorprofessur. Hallers Stelle ist zwar bereits für Journalistik ausgeschrieben und wird derzeit von Martin Welker vertreten; sie würde dann aber umgewidmet in eine Professur für Gesundheitskommunikation. Noch ist nichts endgültig. Und noch ist Haller, der in den vergangenen Jahren manchen Ressourcenkampf mit der Hochschulleitung ausgefochten hat, nicht ganz weg aus Leipzig. Er behält vorerst die Leitung des Instituts für praktische Journalismusforschung.