Der Fall hat alle Ingredienzien eines saftigen Sommerskandals und wird die Zeitungen, Magazine und Wochenblätter wohl noch wochenlang füllen: Erst eine Hausuntersuchung bei einem eidgenössischen Spitzenbeamten, dann dessen Freistellung durch seine höchste Chefin persönlich, Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf. Es ist nicht das erste Mal, dass diese einen Chefbeamten feuert, doch harmloser macht dies die Sache auch nicht.
«Die Bundespräsidentin hat im Rahmen ihrer Kompetenzen im Januar 2012 die Administrativuntersuchung und als Vorsteherin des Finanzdepartements auch die vorläufige Freistellung angeordnet», präzisierte Schlumpf-Sprecherin Brigitte Hauser-Süss am Dienstag im Gespräch mit dem Klein Report.
Man erinnert sich: Schon vor einem Jahr war durchgesickert, dass es bezüglich des IT-Projektes Insieme massive Unregelmässigkeiten gebe. Schon damals hatte Finanzministerin Widmer-Schlumpf den dafür zuständigen ESTV-Direktor Ursprung mehrmals angemahnt und an die Richtlinien für die Beschaffung von Bundesaufträgen erinnert. Offenbar nützte alles nichts, denn Anfang Jahr wurde eine Administrativuntersuchung eingeleitet, immerhin ging es um dreistellige Millionensummen - Steuergelder, versteht sich.
Nun liegt dieser Bericht vor und er bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Offenbar mit erheblicher, vielleicht gar krimineller Energie seien Bundesaufträge für das IT-Megaprojekt in Kleinstaufträge zerstückelt worden, um so einer öffentlichen Ausschreibung zu entgehen. Manchmal gleich mehrere Aufträge an einem Tag mit identischem Wortlaut.
«Die mit der Administrativuntersuchung Beauftragen hatten bereits während der Untersuchung Strafanzeige erstattet», unterstreicht Hausser-Süss die Brisanz des Ganzen. «Die Strafanzeige richtete sich jedoch nicht gegen den Direktor ESTV. Administrativ- und Strafuntersuchung sind zudem voneinander unabhängige Verfahren zu unterschiedlichen Sachverhalten, die nicht direkt voneinander abhängig sind.»
Für die ganz klaren Verstösse gegen das Beschaffungsreglement trägt jedoch ESTV-Direktor Urs Ursprung die Verantwortung. Hausser-Süss: «Die Hauptverantwortung für das Fehlverhalten innerhalb der ESTV trägt deren Direktor.»
So ist am Montag auch die Durchsuchung von dessen Privathaus erklärbar. Diese sei notwendig geworden, weil die Untersuchung auch mögliche strafrechtlich relevante Sachverhalte zutage gefördert habe. Die Freistellung von Ursprung erfolgte auf dem Fusse, vorläufig übernimmt dessen Stellvertreter interimistisch die Leitung des ESTV.
Ist dies der richtige Mann in einem möglicherweise korrupten Umfeld? Ja, meint Hauser-Süss auf die Frage des Klein Reports: «Der stellvertretende Direktor ist im Rahmen der Verantwortung der Geschäftsleitung der ESTV für das Projekt Insieme mitverantwortlich. Er war jedoch nicht Projektleiter oder in ähnlicher Funktion tätig.»