Wie frei sind Online-Portale in der Löschung von Kommentaren und Sperrung von User-Konten? Der Presserat verlangt von den Redaktionen, nur bei «offensichtlichen Verletzungen» der berufsethischen Standards einzugreifen. Und kritisiert infosperber.ch dafür, dass das Portal ein Leser-Konto kuzerhand blockierte.
Unter der Schlagzeile «Novartis ködert Ärztinnen und Ärzte am meisten» brachte Infosperber im Juli 2017 eine Story zum Gesundheitswesen. «Oft verschreibt ein Arzt nicht das geeignetste Medikament, sondern eines, für das ihn die Pharma speziell bezahlt», war die Kernaussage des Hintergrundberichts.
Der Leser X schrieb noch am Erscheinungstag zu der Story einen Kommentar, den Ex-«Kassensturz»-Leiter, Infosperber-Autor und Präsident der Trägerstiftung Urs P. Gasche gleichentags kurzerhand löschte. Begründung: Der Kommentar beziehe sich nur lose auf den Artikel.
Tags darauf lief die Sache aus dem Ruder. X schreib eine ausführliche Stellungnahme und sparte nicht mit Anwürfen gegen Gasche, den er als «nachweislich belegbar meinungsmanipulierend» hinstellte.
Gasche antwortete X postwendend, er sei genötigt, sein Konto zu löschen. Infosperber dulde keine beleidigenden Bezeichnungen. Daraufhin beschwerte sich X beim Presserat wegen «Zensur» des Online-Kommentars und der Löschung seines Kontos.
Wie die Redaktionen mit Leserbriefen und Online-Kommentaren umgehen, beschäftigt den Presserat immer wieder. Grundsätzlich sollen die Redaktionen den Leserreaktionen einen «grösstmöglichen Freiraum» zugestehen. Nur bei «offensichtlichen Verletzungen» der berufsethischen Standards sollen sie eingreifen.
Zwar dürfen die Redaktionen entscheiden, ob Leserreaktionen veröffentlicht würden. Das bedeutet für den Presserat aber nicht, dass sie «frei sind, einzelnen Personen den Zugang zu ihren Leserbriefseiten generell zu verweigern». Denn damit werde der Person ihr Recht auf freie Meinungsäusserung «in einer grundsätzlichen und systematischen Art eingeschränkt».
Das Selbstkontrollgremium der Presse kann die «harsche Reaktion» von Urs P. Gasche insofern verstehen, als er offensichtlich befürchtete, die Angelegenheit würde komplett eskalieren. Als von Freiwilligen betriebenes Portal sei Infosperber finanziell nicht in der Lage, vor Gericht zu gehen. «Gasches Reaktion läuft zwar idealen Forderungen zuwider, sie lässt sich aber im Lichte der beschränkten Möglichkeiten betrachten.»
«Verhältnismässig» sei Gasches Überreaktion jedoch nicht gewesen. Für den Presserat, der die Beschwerde teilweise guthiess, wäre es «sinnvoll» gewesen, wenn Infosperber den Leser X erstmal aufgefordert hätte, den Kommentar umzuformulieren, bevor man ihn löschte und sein User-Konto liquidierte.