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Montag
06.06.2011

Welchen Nutzen bieten Medienforscher der Medienpolitik und der Medienpraxis? Eine Tagung in Dortmund lieferte Anschauungsmaterial dafür, dass sie sowohl als Ideenlieferanten wie als Störenfriede wahrgenommen werden. Roger Blum, Publizist und emeritierter Professor für Medienwissenschaft, war für den Klein Report vor Ort.

Die Medienpolitik stützt sich immer wieder auf wissenschaftliche Studien. Dafür bietet gegenwärtig gerade die Schweiz ein Beispiel. Erstens überprüfen Forscher, ob die Radio- und Fernsehveranstalter ihre Leistungsaufträge erfüllen. Neun solcher Programmanalysen können auf der Website des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) eingesehen werden (www.bakom.admin.ch/themen/radio_tv/01153/01156/03479/index.html?lang=de). Zweitens hat das Bakom sechs Studien in Auftrag gegeben, um den Bericht des Bundesrates zur Lage der Medien vorzubereiten; sie sind im Internet an gleicher Stelle veröffentlicht. Ebenso kann man nachlesen, wie die Medienbranche in der Vernehmlassung darauf reagiert hat (www.bakom.admin.ch/dokumentation/gesetzgebung/00909/03608/index.html?lang=de).

Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) in Dortmund berichteten Forscher, wie sie ihre Rolle, aber auch ihren Einfluss sehen. Matthias Künzler und Manuel Puppis von der Universität Zürich analysierten die schweizerische Medienpolitik seit den späten Sechzigerjahren und kamen zum Schluss, dass der Einfluss der Kommunikations- und Medienwissenschaft auf die Formulierung der Medienpolitik immer stärker geworden sei. Am Anfang kam die Wissenschaft punktuell zum Zug, etwa dadurch, dass Vertreter des Fachs in Expertenkommissionen sassen. Dann wurde sie immer systematischer herangezogen, zuerst mit der Lokalradio-Begleitforschung in den Achtzigerjahren, darauf mit der Antragsforschung seit den Neunzigerjahren und schliesslich mit der ständigen Programmevaluation seit 2007. Zuerst war nur das Zürcher Institut für Publizistikwissenschaft gefragt, inzwischen sind Medienforscher der Universitäten Zürich, Freiburg, Lugano und Genf, von Fachhochschulen und von privaten Instituten einbezogen. Laut Künzler und Puppis hat die Medienpolitik 48 der von der Wissenschaft vorgeschlagenen Massnahmen ganz oder teilweise umgesetzt, 23 verworfen, während sieben noch hängig sind. Diese Analyse machte deutlich, dass die Forscher Ideenlieferanten der Medienpolitik sind.

Sie können aber auch Störenfriede sein. Im Auftrag der deutschen Landesmedienanstalten untersucht Professor Joachim Trebbe von der Universität Freiburg im Üechtland zusammen mit dem Potsdamer Professor Hans-Jürgen Weiss die deutschen Privatfernsehsender. Trebbe legte in Dortmund dar, dass der Anteil der politischen Information und der tagesaktuellen Information an der gesamten Informationsleistung bei diesen Sendern bescheiden sei. So beträgt die politische Information 1,7 Prozent bei RTL und 1,2 Prozent bei Sat.1, bei ARD aber 11,8 Prozent und beim ZDF 9,9 Prozent. Der Anteil der tagesaktuellen Information beläuft sich bei RTL auf 13 Prozent und bei Sat.1 auf 9,9 Prozent, bei ARD aber auf 28 Prozent und beim ZDF auf 27 Prozent. Die Landesmedienanstalten würden diese Angaben gerne als Druckmittel nutzen, damit der Anteil politischer Aktualität bei den Privaten höher wird. Doch diese wollen davon nichts wissen. Sie ignorierten die Daten lieber, so Trebbe, oder bestritten sie. Jedenfalls empfinden sie diese als störend.

Nicht immer ganz einfach verläuft auch der Dialog zwischen den Freiburger Forschern, die die 13 schweizerischen Privatfernsehsender evaluieren, und den Senderverantwortlichen. Wie die Forscher Steffen Kolb und Irene Durrer berichteten, gibt vor allem zu Diskussionen Anlass, dass sie den Regionalbezug und den Aktualitätsbezug der Sendungen messen müssen, diese Bezüge aber oft vermissen oder nicht feststellen können. Demgegenüber wollen die Senderverantwortlichen nicht speziell deklarieren, was für ihre Zuschauerinnen und Zuschauer selbstverständlich sei.

Auch nicht unbedingt dankbar reagierte die Schweizer Medienbranche auf das «Jahrbuch Medienqualität» von Professor Kurt Imhof und seinen Leuten im Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich. An der Tagung in Dortmund evaluierten Patrik Ettinger und Mario Schranz vom fög das Medienecho auf das Jahrbuch. Sie stellten fest, dass die Qualitätspresse tendenziell positiv und einordnend berichtete, dass es eine grosse Zustimmung gab in Onlinekommentaren, während sich Verleger kritisch äusserten. Ettinger und Schranz resümierten, dass es dem Jahrbuch durchaus gelungen sei, den Diskurs über die Medienqualität anzukurbeln und der vorher nur noch marginal vorhandenen Medienkritik Auftrieb zu verschaffen.