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Freitag
17.12.2010

Das wohl schrillste Schweizer Medienprojekt aller Zeiten rebell.tv wird Ende Jahr vom Netz genommen. Mit einer Performance im Keller des Zürcher Cabaret Voltaire, der Geburtstätte des Dadaismus, verabschiedeten die Macher von rebell.tv am Mittwoch den Blogger-Dinosaurier. Nach rund 15 Jahren nahm das rebell-Team unter der Leitung von Ex-Sozialarbeitsprofessorin Tina Piazzi und Blogpionier Stefan M. Seydel am Mittwoch bereits erste Teilstücke des Medien- und Kunstprojekts vom Netz.

Der Klein Report war mit dabei und unterhielt sich mit dem jahrelangen Begleiter von rebell.tv und Cabaret-Voltaire-Kurator Philipp Meier über Kunstvermittlung, pseudo-objektive Berichterstattung und ungeschnittenes Filmmaterial.

Klein Report: Herr Meier, dass Marilyn Manson, Frontmann einer der berühmtesten US-amerikanischen Rock-Bands, im Cabaret Voltaire vorbeikam, gehört zu Ihren bislang grössten Erfolgen. rebell.tv hat diesen denkwürdigen Moment in einem Trashvideo festgehalten. Nun wird alles vom Netz genommen. Weshalb haben Sie den Youtube-Film mit Marilyn Manson nicht auf Ihrer Festplatte gespeichert?
Philipp Meier: Auf der Website von rebell.tv hat es tatsächlich Clips darunter, die ich als sehr wertvoll erachte. Grundsätzlich habe ich aber kein Problem damit, wenn die Filme nun verschwinden. Weil dasjenige Material, das wirklich wichtig ist, wird auch so hängen bleiben im Netz oder sonst eben in den Köpfen der Menschen.

Klein Report: Was machen diese einzelnen Clips so wichtig für Sie?
Meier: Kult-Clips mit Marilyn Manson oder auch Christoph Schlingensief sind für mich Schlüsselwerke der Kunstvermittlung. In dem Moment, wo Marilyn Manson im Film von Dada schwärmt, ist der Zuschauer lediglich zwei Klicks vom Wikipedia-Eintrag über Dadaismus entfernt. Zudem hat die Ausstellung von Mansons Bildern im Cabaret Voltaire und sein Auftritt hier wiederum eine grosse Kontroverse unter Dada-Kennern ausgelöst. Dies ist für mich Kunstvermittlung, wie sie sein muss.

Klein Report: War rebell.tv nun eher Kunstplattform oder Medienprojekt?
Meier: Die grösste Qualität von rebell.tv ist eben gerade, dass es sich nicht einordnen lässt. Neben seiner praktischen Arbeit auf dem Blog setzt sich Stefan Seydel mit Akribie und Ernsthaftigkeit wissenschaftlich mit allem Medialen auseinander: Blog, Hyperlink, ungeschnittenes Filmmaterial und vieles mehr.

Klein Report: Inwiefern unterscheidet sich diese theoretische Arbeit inhaltlich von Medienwissenschaftlern an der Uni?
Meier: Der Zürcher Publizistikwissenschaftler Kurt Imhof klagt, dass die Demokratie verliert, wenn die sogenannten Qualitätsmedien den Bach runtergehen. Meines Erachtens entsteht ein viel grösserer Verlust, wenn ein Projekt wie rebell.tv verschwindet, als wenn die NZZ etwas an Auflage einbüsst. Der Niedergang der konventionellen Medien, die einem die ganze Zeit sogenannt objektive Berichterstattung vorgaukeln, ist sogar begrüssenswert.

Klein Report: Wie bitte?
Meier: Auch wenn die NZZ behauptet, dass ihre Schreibe auf Fakten beruhe, ist das doch alles konstruiert. Dem gegenüber wird heute das Potenzial des Internets viel zu wenig nutzbar gemacht. Während Kurt Imhof den Medien vorwirft, dass sie zu wenig kommerzialisiert sind, bin ich vom Gegenteil überzeugt.

Klein Report: Was machte rebell.tv denn falsch?
Meier: Möglicherweise war Stefan Seydel mit seinem Projekt einfach fünf Jahre zu früh dran. Stefan hat als Alleinunternehmer Themen aus unterschiedlichsten Fachbereichen aufgegriffen - immer auf einem hohen intellektuellen Niveau. Doch offenbar war das Format zu wenig zugänglich für die Leute. Für mich persönlich war das Mitverfolgen und kuratorische Begleiten dieses Musterbeispiels wie ein Fernstudium in Medienwissenschaften. Der Kern ist wohl, dass rebell.tv eine grundlegend andere Kultur in der Medienarbeit pflegt.

Klein Report: Machen Sie ein Beispiel.
Meier: Wenn mich ein Journalist anruft, will er in der Regel zwei, drei Zitate, um seine vorgefertigte These zu stützen. Die Qualität von rebell.tv liegt im Nicht-Schneiden des Recherchematerials, das in Form des Blogs als eine Art Zettelkasten öffentlich zugänglich abgelegt wird. Somit kann man den Medienmachern beim Denken zusehen. Schliesslich geht es doch um die Aufbereitung als Peak von verschiedenen Haltungen. Somit wäre eben die Redaktionssitzung der spannende Teil einer Zeitung. Und genau das waren die interessanten Momente bei rebell.tv.

Klein Report: Ist es nicht zentrale Aufgabe eines Mediums, die Diskussionen und Meinungen zugespitzt fürs breite Publikum aufzubereiten?
Meier: rebell.tv machte jeweils transparent, aus welcher Ecke dieser oder jener Ansatz kommt. Genau das ist doch der Schlüsselmoment des Internetmediums, nämlich in welchem Zusammenhang welcher Name steht! Per Hyperlink wird der Leser also kreuz und quer durch verschiedene Seiten des Internets gejagt. In der Realität der Ökonomie ist dies wiederum problematisch, da man so die Leserschaft von der eigenen Seite wegschickt. Dadurch hingegen war rebell.tv bei Google immer weit oben geratet, was wiederum für sich allein viel Potenzial hat. Ich habe deshalb nie verstanden, weshalb das sonst niemand sieht. Offenbar ist der Businesscase hier einfach zu wenig offensichtlich vorhanden.

Klein Report: In welche Richtung sollten sich also die neuen Medien entwickeln?
Meier: Bei rebell.tv werden die Möglichkeiten sichtbar, was im Internetzeitalter alles machbar ist. Zudem brach Seydel die gängigen Sparten Kunst, Wissenschaft, Politik und Medien auf. Denn es hat nichts mit der Realität zu tun, wenn das Weltgeschehen in der Zeitung auf verschiedene Bünde aufgeteilt wird. Alt Bundesrat Christoph Blocher forderte jeweils, der Journalismus soll «schreiben, wie es ist». Diesem Anspruch kam rebell.tv auf eindrückliche Art und Weise ziemlich nahe.