«If your mother says she loves you, check it out», beschrieb Hans Leyendecker am Recherchetag der Journalistenschule MAZ augenzwinkernd seinen Grundsatz zum Recherchejournalismus.
Nichts wird bei einem Journalisten vom Kaliber eines Hans Leyendecker einfach als Fakt hingenommen, nicht einmal die Liebe der eigenen Mutter. Der deutsche Investigativjournalist ist seinen Kollegen ein Begriff und vielen ein Idol. In seiner Karriere konnte er zahlreiche politische Affären aufdecken, unter anderem die CDU-Parteispendenaffäre und die Drehbuchaffäre des NDR. Einmal eine Enthüllungsgeschichte landen wie Leyendecker - ein Traum vieler seiner Kollegen.
«Wir versichern uns ständig, wie wichtig wir sind und dass es uns noch gibt. Das ist schizo», machte Leyendecker ein Ego-Problem bei vielen Journalisten aus. Es sei nicht nur die Aufgabe der Journalisten, Geschichten zu enthüllen. «Wir müssen schreiben, wie es ein Computer nicht kann. Wir müssen eine Haltung haben, ohne der Sucht nach Anerkennung zu erliegen», plädierte er in seiner Rede vor den Kolleginnen und Kollegen am zweiten Recherchetag des MAZ in Luzern.
Ein guter Journalist sei für ihn auch ein Aufklärer, der gegen Vorurteile und Autoritätsdenken anschreibe. Leyendecker kritisierte in diesem Zusammenhang den Umgang der Medien mit dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff scharf. Dieser habe sich zwar selbst ein Stück demontiert, sein Krisenmanagement sei schlecht gewesen, aber er sei dann von einer erbarmungslosen Meute gejagt und fertiggemacht worden. «Die Verdachtsberichterstattung führte zu Ermittlungen, über die dann Medien exklusiv berichten konnten. Was an den Vorwürfen dran war, ist jetzt in Hannover beim Wulff-Prozess zu besichtigen: nichts.»
Er rief die Journalisten dazu auf, ergebnisoffen an Geschichten heranzugehen. «Enthüllungsjournalismus ist mehr als das Studieren von Ermittlungsakten, es braucht auch Einordnung, Analyse. Über allem Bemühen muss bei Affärengeschichten der Versuch stehen, Belastendes und Entlastendes zusammenzuführen und zu sortieren.»
Bei der Analyse gehe es nicht darum, den Publikumsgeschmack zu bedienen, sondern ein offenes Urteil aufgrund von wochenlanger Recherche abzugeben. Leider aber sei es schwierig, Leserinnen und Leser zu finden, die wirklich etwas Neues hören wollten. «Die kollektive Fantasie braucht klare Verhältnisse und ist nicht interessiert an Ergebnisoffenheit», bedauerte der Ressortleiter Investigative Recherche der «Süddeutschen Zeitung».
Neben den idealen Journalisten, der sich die Mühe der Recherche macht, stellte Hans Leyendecker den idealen Leser, der vom Journalisten nicht einfach verlange das zu schreiben, was er immer schon gesagt habe, sondernd der urteilend geniesse und geniessend urteile.
Doch ein solcher Meinungsaustausch braucht Ressourcen, dessen ist sich auch Leyendecker bewusst. «Natürlich bin ich in einer privilegierten Stellung», gab er zu. «Ich habe Zeit zur Recherche, die viele junge Kollegen nicht haben.» Für junge Journalisten unter Druck hatte er einen Tipp übrig: «Mach einmal im Jahr eine tolle Geschichte, für die du lange recherchierst.»
Er verwies auf seine Vorrednerin MAZ-Direktorin Sylvia Egli von Matt, die in der «Neuen Zürcher Zeitung» die schlechten Arbeitsbedingungen junger Journalisten beklagt hatte: «Die neue Generation findet aber dennoch ihren Weg. Ich muss betonen, dass keiner von meinen jungen Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite, über Selbstausbeutung spricht, und auch ich selbst habe das nie getan. Wir haben einen wunderbaren Beruf, der uns Leidenschaft erlaubt.» Es sei eben kein 35-Stunden-Job.
Den Beruf des Journalisten korrekt auszuüben, sei nicht immer einfach, war sich Leyendecker am Montag sicher. Doch es lohne sich. «Qualität kommt von Qual», stehe nicht umsonst über der Henri-Nannen-Schule in Hamburg geschrieben.