Immer mehr Frauen übernehmen Führungsfunktionen in Medien. Und gleichzeitig sind Journalistinnen immer wieder Opfer von sexistischen Übergriffen. Debatten beim Netzwerk Recherche zeigten: Medienfrauen nehmen zunehmend das Heft in die Hand. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
Zunächst die Zahlen: Wie hoch ist der Anteil der Chefredaktorinnen, stellvertretenden Chefredaktorinnen und Ressortleiterinnen in führenden Zeitungen und Magazinen Deutschlands an der Gesamtheit dieser Funktionen? Bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» beträgt er 8,7 Prozent, bei der «Süddeutschen Zeitung» neun Prozent, bei «Bild» 16,7 Prozent, beim «Stern» 18,5 Prozent, beim «Spiegel» 19,4 Prozent, bei der «Welt» 20 Prozent, bei «Focus» 25 Prozent, bei der «Zeit» 30,4 Prozent, bei der «Berliner Zeitung» 40 Prozent und bei der «taz» 50 Prozent. Bei der ARD sind die Chefredaktorinnen in der Mehrheit.
Vier dieser Frauen mit publizistischen Führungsfunktionen sassen auf einem von «Freitag»-Verleger Jakob Augstein geleiteten Podium an der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg: Ines Pohl, Chefredaktorin der «taz» in Berlin, Claudia Spiewak, Chefredaktorin des NDR-Hörfunks in Hamburg, Carin Pawlak, stellvertretende Chefredaktorin von «Focus» in München, sowie Sabine Rückert, stellvertretende Chefredaktorin der «Zeit». Ausserdem diskutierte Annette Bruhns mit, Vorsitzende von Pro Quote und «Spiegel»-Redaktorin.
Alle waren sich erstens darin einig, dass Frauen meist weniger nach oben drängen als Männer. «Viele Frauen entscheiden sich dafür, sich das nicht anzutun», sagte Carin Pawlak von «Focus». Sie machten sich unnötig klein, und wenn sie in eine Führungsposition gelangen, «dann reden sie davon, Glück gehabt zu haben» (Claudia Spiewak, NDR).
Die Runde fand aber zweitens auch, dass Frauen ermutigt werden müssten. Ines Pohl von der «taz» riet zu unterstützenden Massnahmen wie Coaching oder Doppelspitze. Und sie behauptete, dass Menschen, die Führungsposten besetzen können, oft solche suchten, die ihnen ähnlich sind - sei es regional, politisch oder nach Geschlecht. «Sobald mal 30 Prozent der Führungsposten durch Frauen besetzt sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Frauen nachrücken», hielt Pohl fest.
Und noch in einem dritten Punkt war sich das Podium einig: Frauen führen in der Regel anders als Männer, aber es gebe «keinen genetisch bedingten weiblichen Führungsstil» (Spiewak). Am besten führten gemischte Teams (Pohl).
Auf einem anderen Podium, das die NDR-Moderatorin Susanne Stichler leitete, diskutierten die Netzaktivistin Kathy Messmer, eine der Initiantinnen des #aufschrei, die Journalistin Ursula Kosser, Dienstchefin bei RTL/n-tv in München und Autorin des Buches «Hammelsprünge» über den Politikersexismus in der Bonner Republik, sowie Susanne Gaschke, neue Oberbürgermeisterin von Kiel und vorher politische Redaktorin der «Zeit».
Zur Erinnerung: Nachdem die Journalistin Laura Himmelreich im «Stern» beschrieben hatte, wie Rainer Brüderle, Fraktionschef und Spitzenkandidat der deutschen FDP, sie an einer Bar angemacht hatte, kam es zu einer heftigen Reaktion auf Twitter (#aufschrei), bei der Tausende diesen Sexismus verurteilten.
Und als Annett Meiritz im «Spiegel» den Sexismus der Piratenpartei zum Thema gemacht hatte, wandte sich Thomas Tuma ebenfalls im «Spiegel» gegen den Verein ProQuote und indirekt auch gegen seine Kollegin. Darauf beschloss der «Spiegel», die Debatte nicht mehr öffentlich weiterzuführen.
Aus diesem Anlass waren Sexismus in Politik und Medien das Thema des Podiumsgesprächs in Hamburg. Was kam dabei heraus? Niemand hat etwas gegen Flirten. Aber alle lehnen es ab, wenn sexistische Übergriffe dazu dienen, Macht auszuüben. Frauen auf diesem Weg gefügig zu machen, sei keine Frage des Alters, wie es oft in Verbindung mit der Brüderle-Geschichte eingeflüstert worden sei, sondern es gebe durchaus auch Jüngere, die sich derb-herabwürdigend äusserten. Es sei auch nicht ein Kampf Frauen gegen Männer, sondern ein Kampf «Arschlöcher gegen Nicht-Arschlöcher» (Kathy Messmer). Letztlich müsse der gesunde Menschenverstand sagen, was angemessenes Verhalten sei.
Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg: Noch nicht alles im Lot