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Donnerstag
26.05.2016

Medien / Publizistik

Am Mittwoch ist Felix E. Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», für sein Gesamtwerk mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet worden. Im Gespräch mit dem Klein Report schaut er zurück auf fast 40 Jahre im Journalismus und erzählt, wie sich die Hauskultur der NZZ verändert und was ihn damals bei der Lancierung der «NZZ am Sonntag» beeinflusst hat.

Was bedeutet die Auszeichnung mit einem der renommiertesten Preise im Schweizer Journalismus für Sie persönlich?
Felix E. Müller:
«Ich freue mich ganz einfach über diese Anerkennung meiner Arbeit. Ich habe nie damit gerechnet.» 

Sie wurden für Ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Wie würden sie Ihr Werk charakterisieren?
Müller:
«Ich war und bin bis heute mit Leidenschaft Journalist. Auch heute noch schreibe ich regelmässig Texte, von denen ich hoffe, dass sie Leserinnen und Leser auf Neues aufmerksam machen, in einer laufenden Debatte neue Aspekte aufzeigen oder durch eine pointierte Meinung auffallen. Ich war darüber hinaus fast ohne Ausnahme immer in einer Leitungsfunktion und habe dort viele Journalisten angestellt und weiterentwickelt. Talente zu entdecken und zu fördern war für mich immer ein interessanter Aspekt dieser Führungsfunktion. Schliesslich habe ich immer journalistische Produkte konzipiert und weiterentwickelt. Sicher ist die `NZZ am Sonntag` das wichtigste Beispiel, aber nicht das einzige.»

Was waren die wichtigsten Meilensteine, die folgenschwersten Weichenstellungen auf Ihrem Weg?
Müller: «Die wichtigsten Meilensteine lassen sich an den Eckdaten meiner beruflichen Karriere ablesen. Der Eintritt bei der Gratiszeitung `Züri Leu` Ende der 1970er Jahre, der Verkauf und die Einstellung dieser Zeitung durch Tamedia 1982, was mich kurzzeitig arbeitslos machte. Dann der Wechsel zur `Weltwoche`, die Übernahme des Inlandressort im Alter von nur 33 Jahren, der kurzfristige Entscheid 1987, als Korrespondent in die USA zu wechseln. Prägend war darauf die Phase, als ich die schlingernde `Weltwoche` als Chefredaktor ad interim für eineinhalb Jahren auf Kurs zu halten suchte, sodann der Wechsel zur NZZ 1997 und schliesslich die Projektarbeit und die Lancierung der `NZZ am Sonntag` im Jahre 2002.»

Und welche Menschen, welche Begegnungen haben Sie in Ihrem Wirken und Ihren Visionen am meisten geprägt?
Müller: «Geprägt hat mich als Journalist Jürg Ramspeck, der mich zum `Züri Leu` und dann zur `Weltwoche` holte. Von ihm habe ich alles gelernt, was ich heute als Journalist mache. Geprägt hat mich zudem die Auseinandersetzung mit der angelsächsischen Welt, speziell den USA, und der dortigen Zeitungskultur. Diese Einflüsse haben sich auf die Konzeption der `NZZ am Sonntag` ausgewirkt.»

Sie arbeiten seit 1997 bei der NZZ. Was hat sich im Haus in den letzten 20 Jahren aus Ihrer Sicht am meisten verändert?
Müller: «Die alte NZZ war von einer ganz speziellen Kultur geprägt, im Denken und Handeln extrem liberal, grosszügig, etwas elitär, zuweilen auch leicht verschroben. Immer ging es um Publizistik, und der Chefredaktor verbreitete eine damals schon etwas aus der Mode geratene patriarchalische Führungsstimmung im Haus. Das Platzen der Dotcom-Blase nach der Jahrtausendwende und der Anbruch des digitalen Zeitalters setzten dieser alten NZZ-Kultur ein Ende. Es folgte in einigen schmerzhaften Etappen der Übergang zu einer `normalen` CEO-Struktur mit einer Unternehmensleitung, in der die Publizistik ein Ressort neben anderen ist. Zudem ist die alte Zürcher Führungsschicht, welche im Aktionariat die NZZ trug, schwächer geworden. Das verbesserte die Stabilität des Hauses nicht.»

Welche Zukunft gaben Sie der «NZZ am Sonntag», als Sie damals bei der Lancierung die Feder führten?
Müller
: «Die kleine Arbeitsgruppe, die das Konzept für die `NZZ am Sonntag` ausarbeitete - ohne jeden externen Berater nota bene! - war immer überzeugt, dass es für eine dritte nationale Sonntagszeitung Platz hat. Ich war überzeugt vom Konzept der Zeitung, musste aber anfänglich mit dem Handicap von völlig übertriebenen Erwartungen umgehen. Das äusserte sich etwa darin, dass ich über 400 Bewerbungen für den Start der Zeitung erhielt. Ich war aber immer überzeugt von den Erfolgsaussichten der neuen Zeitung. Um diesen etwas nachzuhelfen, ging ich vom ersten Erscheinungstag an jeden Sonntag an die nächste Tankstelle und kaufte ein Exemplar, was den Kioskverkauf stark ankurbelte. Diese Gewohnheit hat sich übrigens bis heute erhalten.»

Was hat Sie bei der Entwicklung des neuen Titels seither am meisten verblüfft?
Müller: «Die Schwierigkeit war ja, dass die `NZZ am Sonntag lanciert wurde, als das Schrumpfen von Print begann. Die Zeitung musste also gegen den Grosstrend im Markt etabliert werden. Dass uns das gelang, verblüfft mich manchmal noch heute. Sicher auch nicht selbstverständlich ist, wie wir mit der kleinsten Auflage aller drei nationalen Titel mittlerweile den grössten Werbeanteil am Sonntag erobert haben.»

Wohin geht die Reise nach der «NZZ am Sonntag»?
Müller: «Ich bleibe noch etwas in meiner jetzigen Funktion und beschäftige mich neben dem Tagesgeschäft mit Projekten im digitalen und im Magazin-Bereich. Für danach gibt es Anfragen für Beratungsmandate. »

Wenn sie sich zurücklehnen und aus der Vogeloptik auf ihre journalistische Karriere runterschauen: Was ist die grösste Lehre für Sie?
Müller
: «Die grösste Lehre? Dass man nicht mit den Wölfen heulen soll.»