Ein Politiker, der Nackt-Selfies verschickt und ein Bundestrainer, der sich in intimer Gegend kratzt, haben eines gemeinsam: Sie beide stossen in der breiten Öffentlichkeit auf grosses Interesse und sorgen für generelle Belustigung. Gleichzeitig stellt sich in solchen Fällen die Frage nach den Grenzen medialer Berichterstattung.
Im Fall Geri Müller wurden diese Grenzen durch die «Schweiz am Sonntag» klar überschritten, wie der Schweizer Presserat in einem Grundsatzentscheid feststellt. Dabei greift der Presserat zurück auf den bereits vor Jahren bezogenen Standpunkt, wonach «das Interesse einer grossen Öffentlichkeit nicht zu verwechseln ist mit einem öffentlichen Interesse». Raphael Waldvogel, Redaktor Klein Report, kommentiert den Entscheid.
Der Artikel mit der Überschrift «Geri Müller: Nackt-Selfies aus dem Stadthaus», der am 16. und 17. August 2014 zunächst online und dann in der Printausgabe der «Schweiz am Sonntag» veröffentlicht wurde, konnte eigentlich nur einen Zweck haben: Die Befriedigung der urmenschlichen Freude am Unglück anderer. Leistet sich eine mehr oder weniger prominente Persönlichkeit einen Fauxpas, freut das die Allgemeinheit. Das zeigte sich im enormen Medienhype, den der Fall Geri Müller auslöste.
Dabei muss scheinbar in Erinnerung gerufen werden, dass auch ein Exekutivpolitiker ein legitimes Interesse daran hat, in seiner Privat- oder in diesem Fall in seiner Intimsphäre geschützt zu werden. Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz auf der einen Seite und öffentlichem Interesse auf der anderen Seite muss in diesem Fall zugunsten des Privatlebens ausfallen, denn «die Tatsache, dass der Badener Stadtammann und grüne Nationalrat Geri Müller eine Chat-Affäre hat, ist politisch nicht relevant», so der Presserat.
Dass die intimen Aufnahmen teilweise in Amtsräumen aufgenommen wurden, ändert daran nichts. Der erhebliche Rufschaden, den Geri Müller in der Folge erleiden musste, kann durch die reine Belustigungsgier der Öffentlichkeit objektiv betrachtet nicht kompensiert werden. Eine solche Berichterstattung geht deutlich weiter als die reine Informations- und Aufklärungsaufgabe der Medien als «Public Watchdog», wie von Seiten der «Schweiz am Sonntag» argumentiert wurde.
Die «Schweiz am Sonntag» meinte weiter, dass Müller als «oberster Exekutivpolitiker von Baden» auch privat «gewissen Ansprüchen» gerecht werden müsse. Geri Müller hat diesen Ansprüchen aber nicht mehr oder weniger genügt als irgend eine andere Person der Öffentlichkeit. Dass seine Chat-Partnerin Suizidgedanken hegte, er daraufhin die Polizei alarmierte und daher die ganze Geschichte publik wurde, kann ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Im Unterschied zum deutschen Bundestrainer, der sich in aller Öffentlichkeit kratzte und «beschnüffelte», lichtete sich Geri Müller hinter verschlossenen Türen nackt ab. Genau dort sollten solche Bilder künftig auch bleiben. «Die `Schweiz am Sonntag` hat mit ihrem Artikel die Privat- und Intimsphäre des Badener Stadtammanns und grünen Nationalrats Geri Müller in schwerer Weise verletzt», so die Schlussfolgerung des Presserates.