Er ist Bestsellerautor, Radio- und TV-Kommentator, Volkshochschuldozent, Reiseleiter und noch immer eine der bekanntesten Stimmen der Schweiz: Erich Gysling, im kollektiven Gedächtnis in Erinnerung geblieben als der Mann, der dem Land am Fernsehen einst den Tod Präsident Kennedys mitgeteilt hatte. Mit 76 ist er stolz auf jedes seiner Jahre und gedenkt noch viel zu tun. «Weil Arbeiten mehr Spass macht als alles andere», wie er im Gespräch mit dem Klein Report bekannte, und weil er noch immer so gefragt ist und bei kaum einer Anfrage Nein sagen kann.
Seine Woche begann am vergangenen Montag mit einem Text für die «Weltrundschau», 150 Zeilen über die documenta in Kassel. Am Dienstag war er Gast in der Sendung «Talk täglich» auf TeleZüri und erklärte den Syrienkonflikt. Am Mittwoch schrieb er für die «Weltrundschau» über Barack Obamas Drohnenkrieg in Pakistan und am Freitag leitete er eine Diskussionsrunde für die Sterbehilfeorganisation «Exit». Geht es in der aktuellen Woche auch in diesem flotten Takt weiter? «Nein, da bin ich mit einer Reisegruppe im Okavango Delta in Botswana ...»
Das alles, das Schreiben und Kommentieren, das Erklären der Welt und das Reisen, passt heute auch irgendwie zusammen. «Es hat sich so entwickelt», erinnert sich Gysling, «ich bin als junger Journalist ins Nahost-Thema sozusagen hineingerutscht und dort hängen geblieben.»
Es begann in den 1960er-Jahren, als er zuerst Leiter der «Tagesschau» beim Schweizer Fernsehen war, dann Stellvertreter des legendären Hans O. Staub bei der «Rundschau», später arbeitete er bei der «Weltwoche» und danach war der Journalist während zehn Jahren Leiter des Ressorts Ausland beim Schweizer Fernsehen: «Als junger Reporter reiste ich einmal nach Israel, dann noch zwei, drei Mal - und schon war ich der Nahostspezialist.» Bis heute ist er 180 Mal in dieser Krisenregion unterwegs gewesen.
Gysling spricht mittlerweile fliessend Arabisch und Persisch (Farsi), nebst Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch und Isländisch, «und damit meine ich, zumindest auch Zeitungen lesen können». Gysling kann Kaffeehaus-Journalisten, von denen es immer mehr gibt, nicht verstehen die aus einer Region einzig vom Hörensagen berichten: «Das ist pitoyabel. Doch es gibt auch andere, zum Beispiel meinen Neffen Peter Gysling, der fürs Schweizer Fernsehen aus Moskau berichtet und hervorragend Russisch spricht.»
Denn nur wer Politiker im O-Ton verstehen und mit Einheimischen diskutieren kann, hat nach Gysling auch das Recht zu kommentieren. «Die Aussagen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad etwa werden bewusst tendenziös, ja falsch übersetzt. So hat er nie gesagt, man müsse Israel von der Landkarte auslöschen, seine meistzitierte Aussage. Er sagte vielmehr wörtlich: «Es wäre besser, wenn Israel in diesen Zeitläufen nicht vorhanden wäre, doch wir werden keinen Krieg führen.»
In den Iran reist Gysling noch immer mehrmals pro Jahr, und heute stets mit einer Reisegruppe. Sein Reisebüro «Background Tours» ist auf Politstudienreisen im Mittleren Osten und in Zentralasien spezialisiert («mit Referaten über Gott und die Welt»). Doch immer öfter geht es auch nach Afrika, vor allem in diesen Zeiten wo ein Reiseland, auf welches er spezialisiert war, Syrien, wegfällt: «Wie das dort weitergeht, da wage ich keine Prognose.»
Auch in seiner «Weltrundschau 2012», für die er jeden dritten Tag schreibt, klammert er das Thema Syrien vorläufig aus: «Was man darüber heute schreibt, ist morgen schon wieder überholt.» Gyslings «Weltrundschau», ein Jahrbuch, das die Welt erklärt und dessen Chefredaktor er ist, erschien in diesem Jahr zum 40. Mal (!), die Auflage beträgt zwar nicht mehr 70 000 Exemplare wie in den Anfangsjahren, doch noch immer stolze 27 000. «Alle anderen ähnlichen Publikationen wie `Weltpanorama`, `Camera` oder Ringiers `XY` gibts längst nicht mehr», sagt Gysling gegenüber dem Klein Report. Gyslings «Wichtigste Ereignisse des Jahres» sind noch immer ein Bestseller und mit Editionen in Französisch, Finnisch, Italienisch und Schwedisch auch im Ausland gefragt.
Während des Gesprächs mit dem Klein Report ruft die Volkshochschule Lenzburg an, er möge doch bitte über Ägypten referieren. Gysling sagt zu («Volkshochschulen sind eine gute Sache»). Dagegen erhält Roger Schawinski eine vorläufige Absage: «Mit 100 Tagen schreiben, 90 Tagen Reisen, 50 Tagen Vorträgen und noch einigem anderen ist mein Jahr auch so gut ausgelastet.»