Die «Neue Zürcher Zeitung» investiert seit geraumer Zeit in den Online-Bereich - wie Tamedia und Ringier auch. Nun aber stossen die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat auf immer mehr Widerstand. An der letzten Generalversammlung verteilte eine Gruppe ehemaliger NZZ-Mitarbeiter ein Flugblatt und kritisierte darin die beiden Gremien scharf.
«Wir haben den grössten Teil der Redaktion hinter uns», behauptet Jürg Dedial, ehemaliger Auslandredaktor der NZZ, gegenüber dem Klein Report. Dedial hat das Flugblatt gemeinsam mit Oswald Iten, Werner Ehrensperger, Wolfgang Frei, Roger E. Schärer und Reinhold Gemperle verfasst und unterzeichnet.
Der Fokus der Gruppe liegt vor allem auf der gedruckten Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung», die sie durch die Umstrukturierungen und neuen Projekte vernachlässigt sehen. Kritisch beurteilen sie sowohl die Entwicklungen im Online-Bereich, als auch die aufgeblähten Strukturen in Verlag und Redaktion.
Die strukturellen Anpassungen beurteilt der ehemalige Auslandredaktor äusserst kritisch. «Was die Bürokratisierung angeht, können Sie irgendeinen aktiven Journalisten oder eine Redaktorin fragen. Und sie werden sehr schnell merken, wie gespannt und frustriert die Leute sind, die nicht mehr in Ruhe arbeiten können», monierte Dedial.
«Auf fast allen Redaktions- und Verwaltungsebenen sind richtiggehend parasitäre Strukturen entstanden, für die laufend neue Betätigungen gefunden werden müssen. Derweil muss die Zeitungsredaktion, die noch immer über 80 Prozent der Einnahmen generiert, um jeden Rappen kämpfen», zieht er vom Leder. «Der massive Ausbau des Online-Bereichs und die enorme Bürokratisierung, nicht zuletzt durch die sogenannte Konvergenz, haben grosse Summen gebunden.»
NZZ-CEO Veit Dengler meint auf die Frage, ob die Strukturen finanzielle Mittel binden würden, die besser in den Journalismus investiert würden: «Die Frage zielt an der heutigen Funktionsweise des Journalismus vorbei. Die Kernkompetenzen des Journalismus haben sich verändert», lautet seine Erklärung. «Denken Sie etwa an Datenjournalismus oder Infografiken. Wenn wir in diese Kompetenzen investieren, investieren wir in den Journalismus.»
Er bestreitet, dass die Konvergenz auf Kosten der Printausgabe gehe. «Alles, was wir tun, hat zum Ziel, die Publizistik zu stärken und unser Tempo zu steigern», meinte der NZZ-CEO gegenüber dem Klein Report. «Bürokratie und Doppelspurigkeiten bauen wir ab. Investieren müssen wir in Journalismus, Technologie, Marketing- und Vertriebs-Know-how, damit unsere Strategie gelingt.»
Dedial und seine fünf Mitstreiter betrachten aber nicht nur die strukturellen Entwicklungen, die mit dem Ausbau des Online-Bereichs einhergehen, kritisch, sondern auch die Qualität der Berichterstattung im Netz.
«Was an Tiefe in der Berichterstattung und Kommentierung erarbeitet wird, kommt ausschliesslich von der Zeitung. Die Qualität der Online-Angebote ist gegenüber den früheren, schlanken Diensten in keiner Weise besser geworden, was nicht überrascht, wenn man die aufgeblähten Strukturen des Dienstes betrachtet.»
Statt auf die Qualität der gedruckten Ausgabe zu setzen, würden «führende Exponenten und CEOs» das Blatt - auch öffentlich - immer wieder totreden. «Ich bin nicht gegen eine digitale Zukunft; da sind wir schon. Aber sie darf nicht auf Kosten jenes Mediums gehen, das noch immer führend in jeder Beziehung ist», behauptet Dedial. «Mag sein, dass es in 20 Jahren anders ist. Aber noch sind wir nicht so weit.»
Veit Dengler hingegen kann der Entwicklung im Online-Bereich nur Positives abgewinnen. «Diesen herbeigeredeten Antagonismus zwischen Print und Digital halte ich für falsch», sagte Dengler. «Praktisch alle Menschen lesen Nachrichten, Hintergründe und Meinungen sowohl in gedruckter wie auch in digitaler Form. Mich interessiert nicht, ob oder wann sie das eine oder das andere tun. Wichtig für mich ist, dass wir zahlende Kunden gewinnen.»
«Wir verkaufen Abos, die es unseren Lesern erlauben, auf unsere Inhalte sowohl in gedruckter wie auch in digitaler Form zuzugreifen», tat er kund. «Folglich gibt es keine Produktrechnung pro Kanal.»
Die letzten Monate hätten gezeigt, dass Innovation in Print und Digital möglich und für die Strategie der NZZ wichtig sei. Damit spricht er die österreichische Online-Version und das Magazin «NZZ Geschichte» an. «Das Echo war unglaublich positiv», so Dengler. «Wir haben jetzt schon das Aboziel für das ganze Jahr 2015 erreicht.»
Zufrieden mit der Online-Entwicklung ist auch Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod. «Aber die digitale Entwicklung verläuft rasant», gibt er gegenüber dem Klein Report zu bedenken. «Mit irgendeinem Status quo zufrieden zu sein, ist gefährlich. Wir müssen uns laufend verbessern. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt die richtigen Leute haben, um diese laufenden Verbesserungen voranzutreiben.»
Jornod ist überzeugt, dass die NZZ mit ihren Inhalten «das Leitmedium der Schweiz» bleiben werde. «Ob diese Inhalte gedruckt oder digital gelesen werden, entscheiden unsere Leser», so Jornod. «Entscheidend sind die Inhalte. Dadurch zeichnen wir uns aus. Damit wir unseren Lesern auch in Zukunft hervorragende Inhalte bieten können, investieren wir in Redaktion, Technologie, Marketing und Vertrieb. Da liegt unser Fokus.»
Gemäss Jürg Dedial hätte mit der Stärkung der Print-Redaktion auf «das eine oder andere Abenteuer» und auf externe «Experten», die «ein Riesengeld kosten», verzichtet werden können. «Die Redaktion ist der Kern der NZZ und wohl einer der besten Thinktanks der Schweiz gewesen, ehe man angefangen hat, sie zu marginalisieren und bürokratisch zu ersticken.»
«Natürlich muss auch die NZZ journalismusfremde Aktivitäten entwickeln; das tut sie ja schon. Aber man müsste erst einmal den Stammladen in Ordnung bringen und die Journalisten wieder zum Zug kommen lassen», sagt der ehemalige NZZ-Mitarbeiter.
Etienne Jornod entgegnet: «In Bezug auf die Zusammenarbeit mit Agenturen hat sich nichts verändert. Wir arbeiten für Werbekampagnen mit Agenturen zusammen. Das ist üblich: Wir ziehen externe Expertise zu, wo es sich für ein Unternehmen unserer Grösse nicht lohnt, eigene Ressourcen aufzubauen.»