Die Dokuserie des Schweizer Fernsehens «Die Schweizer» kommt bei den Frauen nicht gut an! Vor allem Politikerinnen haben in Medienbeiträgen kritisiert, dass in dem SRF-Programm keine Frauen porträtiert werden. Und das, obwohl der Staatssender davon spricht, dass er zeigt, «wer wir sind und woher wir kommen» - die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist offenbar nicht mitgemeint.
«Es steht ein grundsätzlicheres Problem dahinter», sagte Caroline Arni, Professorin für Geschichte an der Universität Basel. «Das Schweizer Fernsehen zeigt mit dieser Dokureihe ein vereinfachtes und auch veraltetes Geschichtsbild, wo primär Entscheidungsträger als diejenigen dargestellt werden, die Geschichte machen», sagt sie dem Klein Report. «Das ist ein sehr enges Bild, bei dem verschiedene soziale Gruppen aus dem Blick geraten - unter ihnen eben auch die Frauen.»
Auch Yvonne Feri, Frauenpräsidentin der SP, sieht in den sechs Männerporträts eine verpasste Chance: «Die Frauen, die im dargestellten Zeitraum vorkamen, waren nicht an vorderster Front aktiv. Bei der Recherche, welche Personen darzustellen sind, wurde kein strategischer Entscheid gefasst, dass auch die Frauen präsentiert werden müssen. Es wäre aber die Gelegenheit gewesen, Frauen ein Gesicht zu geben.»
Politikerin Feri schrieb in der Herbstsession des Nationalrates einen Brief an SRG-Generaldirektor Roger de Weck, in dem sie sich über die fehlende Repräsentation der Frauen im Dokumonat «Die Schweizer» beschwerte.
Feri erklärte dem Klein Report, dass de Weck schlussendlich die Verantwortung trage. «Es ist aber klar, dass auch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Team die Auswahl der darzustellenden Personen getroffen haben, mitverantwortlich sind», so Feri.
Das Schweizer Fernsehen gab inzwischen bekannt, man habe Personen porträtieren wollen, die beim Publikum bekannt sind, und sei deshalb zwangsweise bei den sechs Männern gelandet, so die fadenscheinige Begründung.
Historikerin Arni wiederum hält dies für eine Ausrede: «Den porträtierten Stefano Franscini kennen in der Deutschschweiz wohl auch viele nicht, trotzdem erhielt er ein Porträt.»
Als Reaktion auf die Kritik an der Dokuserie wurden dem Schweizer Fernsehen in verschiedenen Medien und auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Vorschläge für Frauenporträts zugeführt.
Professorin Arni findet aber, dass es auch nicht damit getan ist, die sechs Männer einfach durch sechs Frauen zu ersetzen. «Frauen können im Geschichtsbild, das vom Schweizer Fernsehen hier vermittelt wird, gar nicht wichtig sein. Es ginge doch eher darum, ein modernes Bild von Geschichtsschreibung zu zeigen, in dem nicht Helden im Vordergrund stehen», erklärt sie im Gespräch mit dem Klein Report.
Die Historikerin liefert auch gleich eine Idee, wie das Schweizer Fernsehen anders hätte herangehen können: «Zum Beispiel lebt doch gerade die Geschichte der Industrialisierung der Schweiz von den Arbeiterinnen und Arbeitern», sagte sie gegenüber dem Klein Report. «Dem Industriellen Alfred Escher hätte man die unbekannte Arbeiterin gleichwertig gegenüber stellen können. Das wäre ein interessanterer und auch herausfordernderer Zugang.»
Neben mehr Weitsicht bei der Programmgestaltung wünscht sich Yvonne Feri auch mehr Frauen in den Chefsesseln des Staatsfernsehens. Sie sei überzeugt, dass man Frauen für die oberen und obersten Kaderpositionen finde - wenn man sie suche.
Auch Caroline Arni hält gemischtgeschlechtliche Gremien generell für wichtig. «Keine Frau in der Geschäftsleitung zu haben, ist problematisch, denn gemischtgeschlechtliche Gremien arbeiten einfach besser. Das kann ich aus meiner Erfahrung aus solchen Stellen an der Uni sagen.» Und weiter sagt Arni: «Und dann ist es natürlich grundsätzlich eine Frage der Gleichstellung.»
Das Schweizer Fernsehen wollte auf mehrfache Nachfrage des Klein Reports keine Stellung mehr zu dem Thema nehmen, «da bereits in mehreren Interviews und Artikeln sämtliche Aspekte des Themas erläutert worden sind», wie Daniel Steiner, stellvertretender Leiter Unternehmenskommunikation, schrieb. Der Verantwortliche für den Themenmonat «Die Schweizer», Mariano Tschuor, war weder telefonisch noch per Email erreichbar.
Die Fragen des Klein Reports bezogen sich zum Teil auf die von Daniel Steiner erwähnten Artikel und hakten nach, wo die Antworten nicht zufriedenstellend waren oder heftige Gegenreaktionen ausgelöst hatten. Die Rechtfertigungsmechanismen des Schweizer Fernsehens nützen weder den Frauen noch dem Sender selber. Es scheinen grobe Fehler gemacht worden zu sein, einmal mehr auf Tauchstation zu gehen, dürfte dieses Mal in Politikerkreisen nicht mehr durchgehen. Besser wäre, das nächste Mal das Geschichtsbild zu entstauben, bevor man es verwendet, meint der Klein Report.
Auf telefonische Nachfrage beim SRF meldete sich noch einmal Daniel Steiner per Mail: «Wir konzentrieren uns nun mit Freude auf unsere Kernkompetenz, und dies ist die qualitative Umsetzung der angedachten Programme.» Steiner sieht also ein, dass der Umsetzung ein Denken vorausgehen muss.
Die Kritikerinnen wollen nicht beruhigt und zufriedengestellt und schon gar nicht angeschwiegen werden, sondern endlich die Partizipation und Repräsentation erhalten, die sie längst verdient haben, wie aus der Umfrage des Klein Reports hervorging.
Die Erkundigungen des Klein Reports bei Mariano Tschuor beschäftigen sich mit dem Zugang des Schweizer Fernsehens zum Thema. Die Fragen «Woher kommen wir?», «Wer sind wir?» und «Wohin gehen wir?» behandelt die Reihe «Die Schweizer» anhand von sechs Einzelporträts. Der Klein Report fragte Mariano Tschuor: «Weshalb haben Sie diesen Zugang gewählt und zeigen nicht beispielsweise ein Ereignis?» Der Klein Report wollte von ihm auch wissen, ob er glaube, dass nur Entscheidungsträger Geschichte machen und nicht die Masse der Leute.
Der Klein Report bezog sich ausserdem auf eine Aussage von Mariano Tschuor, wo er sagte, die Geschichte so aufarbeiten zu wollen, dass das Publikum es nachvollziehen könne. «Warum offerieren Sie dem Publikum nicht einen neuen geschichtlichen Zugang, zum Beispiel einen sozialgeschichtlichen, und fordern es heraus?», fragte der Klein Report nach.
Den Klein Report interessierte auch die Repräsentation der Landesteile, über die Tschuor in einem Interview mit dem «Bund» sprach. Stefano Franscini ist ein Mann, der in der Deutschschweiz kaum jemand kennt. Der Klein Report wollte wissen, weshalb denn die Einbeziehung der Landesteile besser funktioniere als die der Frauen?
Ebenfalls interessierte die Aussage, dass es ja Aufgabe der Medien sei, diese Diskussion zu führen und Akzente zu setzen. Der Klein Report fragte nach: «Sie haben gesagt, sie wollten eine Diskussion führen und andere Akzente setzen, was für eine Diskussion?»
Fazit des Klein Reports: Debatte und Diskussion sieht anders aus.