Kaum eine andere Technologie weckt so viele Erwartungen wie die «Blockchains», die dezentral gespeicherten Datenketten. Der Klein Report sprach mit dem IT-Entwickler Markus Stauffiger über die unternehmerischen Chancen und die möglichen Risiken der neuen Technologie. Und darüber, mit welchen Widerständen sie zu kämpfen hat.
Blockchains werden seit einiger Zeit stark gehypt. Wirtschaftliche Wachstumserwartungen knüpfen sich genauso an die neue Datentechnologie wie die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel. Wird Blockchain nicht masslos überschätzt?
Markus Stauffiger: «Aus meiner Sicht basiert der Hype vor allem auf der Goldgräberstimmung im letzten Jahr. Innert kürzester Zeit sind plötzlich astronomische Summen aufgetaucht und viele wollten ein Stück vom Kuchen haben. Aufgrund der starken Kurskorrektur ist dieser Hype aber abgeflacht. Dies lässt sich auch anhand der gesunkenen Anzahl relevanter Zeitungsartikel erkennen.»
Euphorie ist flüchtig, sie verfliegt genauso schnell, wie sie plötzlich in der Welt war. Werden die wirklich dauerhaften, anhaltenden Veränderungen durch Blockchains unterschätzt?
Stauffiger: «Oft wird der kurzfristige Effekt über- und der langfristige unterschätzt. Dazu gibt es viele Beispiele in der technologischen Entwicklung, etwa das Internet: Als es Mitte der Neunzigerjahre aufkam, war die Wirkung auch kaum absehbar. Was mit ein paar einfachen Websites begann, ist heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Einzelne Branchen wurden ersetzt, wenn man zum Beispiel ans Lexikon denkt, andere mussten sich wandeln und ganz neue entstanden ...»
...Sie meinen, die Veränderungen, die die Blockchains bringen, werden ähnlich tiefgreifend sein wie beim Internet?
Markus Stauffiger: «Ich sehe das bei den Blockchains ähnlich: Einzelne Branchen werden ersetzt werden, viele werden sich anpassen oder anpassen müssen, und einige werden das Heft in die Hand nehmen und die Entwicklung steuern. Auch ganz neue Branchen werden entstehen. Die Technologie ist jung, die ersten Anwendungen im Geschäftsumfeld werden sichtbar, aber die richtig spannenden Projekte kommen erst noch.»
Sie sind CEO und Partner der Basler Web- und Blockchain-Agentur 4eyes. Wo sehen Sie als IT-Entwickler konkrete Chancen, die Blockchains den Unternehmen bieten?
Markus Stauffiger: «Die Blockchain-Technologie kann zum Beispiel in hochregulierten Branchen auf technischer Ebene viele Abläufe vereinfachen, weil kontrollierte Transparenz und das kontrollierte Teilen von Daten Kernfunktionen von Blockchains sind. Dies kann innerhalb des Unternehmens, im Austausch mit anderen Unternehmen oder mit Kontrollinstanzen passieren.»
Blockchains können also auch Ansätze bieten, um Branchenprobleme anders anzupacken?
Markus Stauffiger: «Ja, es gibt spannende Projekte, in denen plötzlich Konkurrenten zusammenfinden und ein Kernproblem der Branche gemeinsam angehen. Und es gibt Projekte, in denen entlang der Wertschöpfungskette Prozesse erheblich beschleunigt werden und gleichzeitig wichtige Themen wie Compliance, Betrug und Fehler plötzlich besser funktionieren.»
Und wo sehen Sie mögliche Tücken der Blockchain-Technologie?
Markus Stauffiger: «Bei den Risiken sind aus meiner Sicht alle Geschäftsbereiche zu prüfen, die darauf basieren, Informationsunterschiede auszunutzen. Das kann zum Beispiel ein Händler sein, der die Nachfrage kennt und sie mit diesem Wissen beim Handel in eine höhere Marge umsetzen kann. Doch generell erwarte ich eine starke Zunahme der Verfügbarkeit von Daten und damit eine Erhöhung der Transparenz, sodass Abnehmer und Lieferant sich direkt finden und einigen können, ohne dass dazwischen jemand vermitteln und verdienen muss.»
Mit welchen Hürden sehen sich Blockchain-Projekte heute konfrontiert? Wie wichtig ist fehlendes Geld?
Markus Stauffiger: «Es gibt viele spannende Projekte, die nicht unbedingt an der Finanzierung scheitern, sondern eher entweder am Widerstand der bestehenden Player oder auch an einer unpassenden Gesetzeslage, wenn man zum Beispiel an die vorgeschriebene Schriftform denkt.»
Und wie schätzen Sie die Startchancen von Blockchains speziell in der Schweiz ein?
Stauffiger: «Im Schweizer Umfeld kommt hinzu, dass wir uns grundsätzlich gegenseitig vertrauen. Der ganz wesentliche Vorteil der Vertrauenssicherung durch ein System erhält dadurch nicht so ein grosses Gewicht. Ich vertraue beispielsweise Ihnen, dass Sie dieses Interview in meinem Sinne abbilden, ich vertraue auch der Migros, dass die Fairtrade-Banane auch wirklich Fairtrade ist, ich vertraue dem Handelsregister, dass morgen nicht plötzlich ein anderer die Anteile meiner Firma besitzt ...»
...also wäre die Vertrauenssicherung durch die Blockchain-Technologie hierzulande überflüssig?
Stauffiger: «Dieses Vertrauen ist ein wichtiger Kern unserer Gesellschaft, aber die Sicherstellung verursacht trotzdem hohe Kosten. Man bedenke zum Beispiel die Aufwände, welche durch Audits, Zertifizierungen oder Controlling anfallen. Darum sollten wir in einem solchen vorteilhaften Umfeld die Blockchains einsetzen, da wir es mit der richtigen Absicht tun: Systeme entwickeln, welche Transparenz schaffen und gleichzeitig die Privatsphäre schützen.»