Die beiden Zürcher Portale «watson.ch» und «blick.ch» wollen im Frühling 2021 in die französische Schweiz expandieren. Beide Titel melden ein grosses Interesse von Seiten der Werbetreibenden für diese neuen Lancierungen. Wie reagieren die welschen Medien auf einen solchen Eroberungszug der Deutschschweizer?
Der Klein Report hat dazu Daniel Neukomm um eine Einschätzung gebeten. Der Directeur commercial Marché national bei Impactmedias ist bei einer Vielzahl welscher Titel sowie bei den Zeitungen in der Romandie Combi für die nationalen Kunden zuständig.
Was hält er von den Plänen aus den Häusern CH Media und Ringier?
Daniel Neukomm: «Als Wanner angekündigt hat, dass sie mit ‚Watson‘ im März in die Romandie expandieren wollen, musste Ringier reagieren und auch mit ihrem Portal ‚blick.ch‘ nachziehen. Die hatten ja keine andere Wahl. Beide Medien wollen für ihre nationalen Kunden die ganze Schweiz abdecken. Ringier hat hier nur noch ‚Le Temps‘. Und es ist fraglich, wie lange diese Zeitung noch bei Ringier bleibt, nach den Gerüchten über die Kaufabsichten der Stiftung Aventinus. Aus verlegerischer Sicht in Zürich ist die Expansion also eine gute Idee.»
Und aus der Sicht der welschen Leserschaft?
Neukomm: «Dort sehe ich es ein bisschen anders. Sehr viele Welsche haben jetzt auch nicht auf ein Portal wie ‚blick.ch‘ gewartet, das 30 Artikel aus der Deutschschweiz quasi übersetzen will. Das kommt ganz schlecht an. Das sieht man bereits am Beispiel ‚Tribune de Genève‘. Ich selber lese den ‚Tagi‘ am Morgen, und dazu habe ich noch die ‚Tribune‘ abonniert. Mittlerweile habe ich das Gefühl, ausser dem Lokalteil lese ich alles zweimal. Sogar mit dem gleichen Bild. Der gleiche Artikel ist auch schon in den Berner und Basler Ausgaben drin. Da fragt man sich, ob ein solches Duplikatsangebot nun auch so gefragt ist in der welschen Schweiz. Ich jedenfalls lese hier als Ergänzung lieber ‚La Liberté‘ aus unserem Portefeuille der Romandie Combi oder andere Blätter wie ‚Le Nouvelliste‘, ‚Arcinfo‘, ‚Le Quotidien Jurassien‘ oder ‚Le Journal du Jura‘. Die haben ihre Redaktionen vor Ort, machen eine Triage der Nachrichten, welche die Bevölkerung hier interessiert. Deshalb sind diese Zeitungen ja auch so beliebt.»
Aber «20 Minuten» hat es in der Romandie trotzdem geschafft.
Neukomm: «Klar, es gibt hier im Welschen ein Potenzial, da haben sie alle recht. ‚20 Minuten‘ holt auch die Werbegelder bereits schön ab. Ob die Romands aber auf ‚blick.ch‘ gewartet haben, steht auf einem anderen Blatt. Der ‚Blick‘ hat unbestritten seine Kompetenz zum Beispiel im Fussball. Da ist aber ‚Le Matin‘ im Welschland ebenso gut und bereits etabliert. Gegen ein solches Blatt punkten zu wollen, wird für Ringier eine grosse Herausforderung.»
Und wie könnte «Watson» ankommen?
Neukomm: «Dieses Portal ist ein bisschen anders positioniert als die bisherigen Zeitungen in der Region. Jung, mit einer Prise Sex, Unterhaltung und Katzenvideos. Für einen solchen Mix gibt es tatsächlich auch ein Bedürfnis. Aber das deckt noch lange nicht die wahren Bedürfnisse der welschen Bevölkerung ab.»
Also keine Gefahr für die etablierten Zeitungen?
Neukomm: «Entertainment, Häppchen-Journalismus, Schnellfutter: Das braucht es auch. Aber hier wird der Angriff von ‚blick.ch‘ und ‚watson‘ mehr auf ‚20 Minuten‘ zielen, als auf die abonnierten Zeitungen aus dem Portefeuille unserer Impactmedias. Die Neuen werden die Leute in den Städten erreichen. Das mag für oberflächliche Werbekunden reichen, um ihre Forderung nach ‚nationaler Abdeckung‘ abhacken zu können. Die wirkliche und wichtige Bevölkerung in der Romandie haben sie damit aber noch lange nicht erreicht.»
Wo kann denn diese abgeholt werden?
Neukomm: «Ich schwenke das welsche Fähnlein, weil ich weiss, wie wichtig und gross die Region für den Werbemarkt ist. Früher gab es die grossen Kampagnen für die deutsche Schweiz und dann hat man die Westschweiz noch halb gratis dazu gegeben, damit man es ‚nationale Kampagne‘ nennen kann. Diese Zeiten sind vorbei. In der Romandie, insbesondere im Wallis, haben wir einen Wachstumsmarkt. Dieser bietet für Werbetreibende sehr viele Chancen. Der Kuchen wird aber irgendeinmal verteilt sein. Dann streicht eben eines der drei Gratisangebote wieder die Segel. So, wie man das auch in der Deutschschweiz gesehen hat. Aber es wird auch ein wachsendes Interesse an nachhaltigen Angeboten geben. Und da sind wir bei Impactmedias mit unseren abonnierten Qualitätszeitungen besser und vor allem auch grossflächiger aufgestellt.»
Was wird genau abgedeckt?
Neukomm: «Wir haben vier verschiedene Vermarktungsbüros in der Romandie. Ich als nationales Büro bin für die Akquise der Werbekunden aus der Deutschschweiz zuständig sowie für den nationalen Markt. Wir haben aber noch drei andere regionale Vermarkter, die aus der Geschichte heraus gewachsen sind. In Sion beschäftigt Impactmedias ein Team, das das ganze Wallis abdeckt. Von Nyon aus wird das Waadtland betreut und in Neuenburg der Norden der Westschweiz. All diese Büros betreuen die regionalen Matadoren, die dort leben und inserieren. Solche Kunden werden kaum zu den neuen und wohl zu einem grossen Teil nur ‚übersetzten‘ Portalen aus der deutschen Schweiz wechseln.»
Aber für nationale Kampagnen könnte es funktionieren?
Neukomm: «Mit den vorher erwähnten Einschränkungen, dass mit den Neuen nur die Ballungszentren erreicht werden, werden sie bestimmt etwas vom Kuchen herauspicken können. Aber es könnte auch mehr drinliegen. Nämlich, wenn wir bei Impactmedias Ringier oder CH Media im digitalen Bereich eine Kooperation anbieten. Nur im Digitalen, nicht im Print. Der Romandie Combi, der ein Erfolg ist als Print, den müssten wir auch digital hinkriegen. Es stellt sich deshalb die Frage: Werden wir bald mit einem eigenen Romandie Digital Combi kommen oder werden wir eine Kooperation vielleicht mit CH-Media auf dem nationalen Markt anbieten müssen? Die Antwort kennen wir noch nicht. Wir haben beide Möglichkeiten. Aber wir müssen hier etwas machen. Der Markt wandert immer mehr ins Digitale. Darum wollen ‚Watson‘ und ‚Blick‘ nun im 2021 in die Westschweiz kommen. Wenn aber plötzlich alle kommen, ist der Kuchen wieder zu klein.»
Die Ausgangslage:
Im März 2021 will «Watson mit einer französischen Plattform in der Romandie starten. Die zukünftige Chefredaktorin Sandra Jean, zuletzt Redaktionsdirektorin bei «Le Nouvelliste», sucht dazu rund 20 Journalistinnen und Journalisten. Kurz darauf ist auch Ringier mit der Ankündigung nachgezogen, das auch «blick.ch» welsch werden will. Als designierter Chefredaktor wird Michel Jeanneret ab dem 16. November 2020 mit dem Aufbau einer Redaktion beginnen. Er war bisher Chefredaktor von «L’illustré».