Der Vorgang ist einmalig: Bild.de stellt die öffentlich-rechtliche Dokumentation über den Judenhass in Europa während 24 Stunden ins Netz, obwohl Arte und WDR die Erstausstrahlungsrechte des Films nicht freigegeben haben.
Schon Anfang Mai titelte die «Berliner Zeitung»: «Arte verhindert Doku zu Antisemitismus». Der für seine internationalen Studien zum europäischen Antisemitismus bekannte Historiker Götz Aly («Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933») schlug Alarm: Das Dokumentationsprojekt «Antisemitismus in Europa» von Joachim Schröder und Sophie Hafner, betreut vom WDR für den europäischen Sender Arte, wurde nach Abgabe des Films von höchster Stelle bei Arte blockiert. Medial wurde sehr bald der Verdacht geäussert, dass Arte die Ausstrahlung aus politischen Gründen verhindere.
Die Dokumentation geht dem Antisemitismus in Europa mit historischen und zeitgenössischen Dokumenten nach, lässt unterschiedliche staatliche, gesellschaftliche und kulturelle Akteure und Institutionen zu Wort kommen und zeigt auf, wie Europa, dessen Institutionen und Gesellschaft stark auf antisemitische Stereotypen rekurrieren, indem sie virulente anti-israelische Positionen und teilweise auch antikapitalistische Stereotype verwenden. Zudem werden die Einwanderergesellschaften und deren struktureller Antisemitismus dokumentiert.
Über einen Monat wurden der Artikel von Götz Aly und weitere Stellungnahmen – unter anderem die des Zentralrats der Juden in Deutschland, der die Freigabe der Doku forderte, – in den sozialen Medien herumgereicht, ohne dass Arte Stellung nahm. Der WDR, in dessen Mitverantwortung «Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa» liegt, vertröstete die zahlreichen Medienanfragen auf einen späteren Zeitpunkt.
Am Dienstag nun hat Bild.de in Eigenregie reagiert und die Doku über den Antisemitismus in Europa während 24 Stunden online gestellt. Arte besitzt die Rechte an der Doku, teilte indessen in der Pressemitteilung gleichentags mit, dass mit rechtlichen Schritten gegenüber Bild.de nicht zu rechnen sei. Das Vorgehen von Bild.de, die Dokumentation online zu stellen, sie zwar «befremdlich», ermögliche aber der Öffentlichkeit, sich «ein eigenes Urteil» zu bilden.
Arte wird die Dokumentation nach wie vor nicht ausstrahlen: «Arte kann und will den Film jedoch nicht durch eine eigene Ausstrahlung nachträglich legitimieren, da er, ohne dass Arte darüber informiert wurde, gravierend von dem verabredeten Sendungskonzept abweicht.»
Damit hat Arte die Strategie gewählt, dass die Dokumentation in Frankreich, wo der Widerstand gegen alles, was mit Israel zusammenhängt und der Antisemitismus der Einwanderergesellschaften ein Tabu ist, nicht ausgestrahlt werden muss. Arte kann auch damit rechnen, dass die Ausstrahlung in Deutschland – trotz hoher Brisanz des Inhalts – keine grossen Wellen wirft.
Arte hat alles Interesse daran, jede weitere mediale und politische Diskussion um den «Judenhass in Europa» zu unterbinden, birgt die Geschichte doch das Potential, die öffentlich-rechtlichen Sender Arte und WDR (der noch keine Stellungnahme abgegeben hat) in arge Schwierigkeiten zu bringen.
Für die Qualität der Doku ausgesprochen haben sich zahlreiche Intellektuelle und Prominente wie Ahmad Mansour, Matthias Küntzel und Michael Wolffsohn.
«Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa» ist noch bis Mitternacht einsehbar. Der Film dokumentiert den historischen und zeitgenössischen Antisemitismus in Europa.