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Donnerstag
09.12.2021

TV / Radio

Nicht korrekt: «Mit diesem Zertifikat, kann man zeigen, dass man einfach kein ... nicht ansteckend ist», sagte Alain Berset im Interview mit Gion-Duri Vincenz. (Bild Screenshot)

Nicht korrekt: «Mit diesem Zertifikat, kann man zeigen, dass man einfach kein ... nicht ansteckend ist», sagte Alain Berset im Interview mit Gion-Duri Vincenz. (Bild Screenshot)

SRF-Bundeshausredaktor Gion-Duri Vincenz war zu wenig wachsam in einem Interview mit Gesundheitsminister Alain Berset, als dieser das Zertifikat als Schutz vor Infektion hinstellte. Dies nur wenige Wochen vor der Abstimmung übers Covid-Gesetz.

Es geschah gleich zu Beginn. Als Einstiegsfrage wies Vincenz darauf hin, dass für die Gegner des Covid-Gesetzes das Covid-Zertifikat die Gesellschaft spalte. Von Alain Berset wollte er wissen, ob der Bundesrat diese Spaltung in Kauf nehme. 

«Und jetzt, mit diesem Zertifikat, kann man zeigen, dass man einfach kein ... nicht ansteckend ist», antwortete der Bundesrat unter anderem.

«Ich bin der Ansicht, dass diese Aussage falsch ist, denn auch Geimpfte können ansteckend sein», schrieb ein Zuschauer der SRF-Ombudsstelle, wie aus dem am Dienstag publizierten Fall hervorgeht. 

«Wenn der Bevölkerung suggeriert wird, sie sei sicher mit dem Zertifikat, beeinflusst dies das Abstimmungsergebnis relevant und bringt sie zudem in Gefahr, zu erkranken, und zwar auf Basis einer Unwahrheit.»

Gion-Duri Vincenz versäumte es, Bersets offensichtliche Falschaussage im weiteren Verlauf des Interviews zu hinterfragen.

Die «10vor10»-Redaktion verteidigte sich damit, dass es in der umstrittenen Passage um die Spaltung der Gesellschaft gegangen sei, nicht um die epidemiologische Funktion des Zertifikats. Da Bundesrat Berset der Frage ausgewichen sei, habe der Journalist nachgehakt.

Im O-Ton fragte Gion-Duri Vincenz nach: «Zur Spaltung – sehen sie das, spüren sie das? Vielleicht auch im Umfeld?», worauf Alain Bersetz antwortete: «Nein, die Spaltung nicht. Ich merke einfach, ja, es ist mühsam für alle ...» 

«Eine Präzisierung durch den Journalisten hätte hier von der eigentlichen Frage nach der Spaltung der Gesellschaft noch weiter weggeführt. Stattdessen führte der Moderator den Interviewgast auf das eigentliche Thema zurück», rechtfertigte die «10vor10»-Redaktion das Interview-Manöver.

Noch einen zweiten Punkt brachten die Sendungsmacher in Anschlag. In einem (vorab aufgezeichneten) Live-Interview könne der Moderator nicht jede Formulierung des Gastes auf die Goldwaage legen und nötigenfalls nachhaken. «Bei einer offensichtlichen Falschaussage ist das natürlich anders. Die Formulierung von Berset gehört unseres Erachtens nicht in diese Kategorie.»

Das würden auch die Ombudsleute schlucken, wenn nicht gerade der Countdown zum Urnengang getickt hätte, wie aus ihrer Stellungnahme hervorgeht. 

Das Interview sei aber nicht irgendein Corona-Interview gewesen, sondern während des tobenden Abstimmungskampfs mit Bundesrat Berset als Repräsentanten des «Ja-Lagers» geführt und gesendet worden. Hier galten besondere journalistische Sorgfaltspflichten. 

«Gion-Duri Vincenz aber hätte die Brisanz der Aussage auffallen müssen, und er hätte als erfahrener Moderator einen Weg finden müssen, diese ‚richtigzustellen‘. Wenn aus Gründen der Höflichkeit nicht gleich durch eine Unterbrechung der ersten Antwort, dann bei Gelegenheit im weiteren Verlauf des Gesprächs», schreiben die Ombudsleute in ihrer Stellungnahme.

Damit hat «10vor10» gegen das Sachgrechtigkeitsprinzip vertossen.