In der Belästigungs-Affäre bei Radio Télévision Suisse (RTS) stellt sich der SRG-Verwaltungsrat hinter seinen Direktor Gilles Marchand. Der Chefredaktor der TV-Nachrichten und der Personalleiter verlassen jedoch den Sender.
Der zum Zeitpunkt der Vorfälle verantwortliche RTS-Direktor, Gilles Marchand, habe zwar seine «sekundäre Aufsichtsverantwortung» in einem der Belästigungsfälle zu wenig wahrgenommen, liess die Pressestelle der SRG am Freitagvormittag noch vor Beginn der Pressekonferenz um 10.15 Uhr einzelne Medien und Keystone-SDA wissen.
Aber Marchand habe sich «keinen gravierenden Fehler» zuschulden kommen lassen. Der Verwaltungsrat halte Marchand nach wie vor für «die richtige Person für die SRG», wurde an der einstündigen Live-Schaltung betont.
Auch der aktuelle RTS-Direktor Pascal Crittin wird freigesprochen. Die externen Gutachter seien zum Schluss gekommen, dass ihm «kein Fehlverhalten» vorgeworfen werden kann.
Von den drei untersuchten Belästigungsfällen hat das Management laut den externen Untersuchungen in zwei Fällen «angemessen» gehandelt. Im dritten Fall wurden «Managementdefizite» in den Fachabteilungen von RTS festgestellt. Der ehemalige RTS-Starmoderator Darius Rochebin wurde durch die Untersuchungen entlastet.
Die seit Längerem andauernde interne Krise beim Westschweizer Sender wurde erst durch die Berichterstattung der Zeitung «Le Temps» vom 31. Oktober 2020 für alle öffentlich sichtbar.
«Diese Defizite werden von der RTS-Geschäftsleitung bearbeitet, die zeitnah dazu kommunizieren wird», heisst es von der SRG über mögliche Konsequenzen. RTS habe zudem eine externe Prüfung des Personalmanagements und der Personaldienstleistungen in Auftrag gegeben.
Diese Verteidigungslinie wurde an der Pressekonferenz am Freitagvormittag kommunikativ permanent untermauert. Für den Verwaltungsrat sei «glasklar», dass für jegliche Form von Belästigung eine «Nulltoleranz» gelte, sagte Jean-Michel Cina (CVP) bei der Online-Präsentation der Untersuchungsergebnisse.
Es gebe aber «keinen Grund, an der Integrität von Gilles Marchand zu zweifeln», so Cinas Persilschein für den SRG-Direktor. Der VR-Präsident gab sich überzeugt, dass Marchand «alles daran setzen wird, dass sich solche Fälle nicht wiederholen».
Personelle Folgen hat die Angelegenheit eine Etage tiefer. Der Chefredaktor der TV-Nachrichten von RTS «hat sich in Abstimmung mit dem Direktor entschieden, das Unternehmen zu verlassen, um einen Neustart zu ermöglichen», so die Formulierung der SRG-Kommunikation am Freitag. Und auch der Leiter der Personalabteilung von RTS werde seine Funktion «abgeben».
Der Klein Report wird den Eindruck nicht los, dass mit den beiden Abgängen auf subalterner Ebene Bauernopfer gebracht worden sind.
Von 2001 bis 2017 war Gilles Marchand Direktor des RTS. Seit die Enthüllungen von «Le Temps» im Oktober den Hang ins Rutschen brachten, steht er in der Kritik, zu wenig gegen die Kultur des Wegschauens getan zu haben. Nach Informationen der Gewerkschaft Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) war Marchand 2014 in mindestens einem Fall durch das SSM informiert worden. Nach Bekanntwerden der Vorfälle erklärte er öffentlich, dass er von nichts gewusst habe.
«Die Bekämpfung der Belästigung wird ein Dauerthema sein», sagte Verwaltungsrätin Ursula Gut-Winterberger (FDP) an der SRG-Pressekonferenz. Es müsse immer wieder rollend geschult werden. Die Schwellenangst, sich zu melden, müsse abgebaut werden.
Der aktuelle RTS-Direktor Pascal Crittin sprach im PK-Stream von «inakzeptablen Situationen», die die Untersuchungen ans Tageslicht befördert hätten. «Es hat sich gezeigt, dass sich einige der Betroffenen hilflos fühlten und intern kein Gehör fanden.»
Zwar soll es keine weiteren Fälle gebe, die die Eröffnung neuer Untersuchungen erforderten, wie Jean-Michel Cina am Freitagvormittag weiter sagte.
Und doch: Dass da noch was auf die SRG zurollen könnte, wird erahnbar, wenn man sich den Untersuchungsbericht zu den Verantwortungsketten zu Gemüte führt. Eine anonymisierte Kurzfassung liegt dem Klein Report vor.
Daraus geht hervor, dass von den 230 eingegangenen Zeugenaussagen nur 43 die drei untersuchten Vorfälle betrafen, die am Freitag an der Pressekonferenz Thema waren. Mehr als 180 Zeugen haben «Unbehagen oder Beschwerden verschiedener Art» vorgebracht, so der Bericht, der noch einige Sprengkraft in sich birgt.