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Donnerstag
28.01.2016

Medien / Publizistik

Rutishauser zur geplanten Werbeallianz

Rutishauser zur geplanten Werbeallianz

Über seinen Arbeitsalltag und wie er auf den redaktionellen Inhalt von zwei Zeitungen Einfluss nehmen kann, hat Arthur Rutishauser im ersten Teil des Interviews mit dem Klein Report gesprochen. Nun nimmt er Stellung zur Zukunft des «Tages-Anzeigers» und der «SonntagsZeitung» sowie zur Werbeallianz von SRG, Ringier und Swisscom und erzählt über seine dreimonatige Weiterbildung mit Schwerpunkt Digitaljournalismus an der Columbia Journalism School in New York, die er im Sommer 2015 absolvierte.

Sie waren zwischen 2010 und 2013 schon Mitglied der Chefredaktion des «Tages-Anzeigers». Was hat sich aus Ihrer Sicht seither verändert?
Arthur Rutishauser: «Als ich den Tagi verliess, war gerade die Umsetzung der Konvergenz zwischen Online und Print im Gange. Die ganze Redaktion hatte das Gefühl, deutlich enger zusammenarbeiten zu müssen. Und jetzt sind wir zwei Jahre weiter und eine gewisse Respezialisierung hat stattgefunden. Man sieht es bei der Produktion von Videos oder auch beim Datenjournalismus: Es braucht mehr Kollegen, die nicht nur Buchstaben schreiben. Vor allem im Digitalbereich.»

Als bekannt wurde, dass Sie die Chefredaktion beider Medien übernehmen, stand in der entsprechenden Medienmitteilung, dass «man im Netz um so enger zusammenrücken will». Was ist da schon passiert?
Rutishauser: «Bisher arbeitet die `SonntagsZeitung` mit Goldbach zusammen und verwendet eine ganze andere Plattform als der `Tages-Anzeiger` mit dem Newsnet. Aus Sicht der Effizienz ist dies natürlich etwas seltsam.»

Was macht Goldbach genau für die «SonntagsZeitung»?
Rutishauser: «Die App der `SonntagsZeitung` wurde von Goldbach entwickelt. Unsere Texte gehen zu Goldbach und werden dort in die Webseite eingestellt. Die Plattform von Goldbach war zu Beginn ein grosser Schritt für die `SonntagsZeitung`. Aus meiner Sicht ist das Angebot aber nicht mehr zeitgemäss. In Zukunft wird die `SonntagsZeitung` durch das Newsnet betreut.»

Gibt es Verträge mit Goldbach, die gekündigt werden müssen? Ist das ein Problem?
Rutishauser: «Ja, aber das ist bereits gelöst.»

Allgemeiner gefragt: Was würden Sie sagen, ist die grösste Aufgabe, die auf den «Tages-Anzeiger» und die «SonntagsZeitung» in den nächsten zehn Jahren zukommt?
Rutishauser: «Die Frage ist: Wie weit überlebt der Print, wie geht das weiter? Wo ist die Zeitung in zehn Jahren und was bieten wir in welcher Form online? Und schaffen wir es, das Geschäftsmodell so weiterzuentwickeln, dass die Zeitung als Ganzes rentabel bleibt? Das ist die grosse Challenge für, glaube ich, alle Zeitungen auf der Welt.»

Was halten Sie von der geplanten Werbeallianz von Ringier, Swisscom und der SRG?
Rutishauser: «Die SRG erhält ihre Gebühren. Eine gesicherte Geschichte, ein sicheres Geschäftsmodell. Jetzt will sich die SRG mit Swisscom - ebenfalls einem staatlich kontrollierten Unternehmen - zusammentun. Gemeinsam haben diese Unternehmen eine ziemliche Power. Das liegt aus meiner Sicht nicht drin, es führt schlicht zu einem zu grossen Wettbewerbsvorteil, vor allem gegenüber Werbekunden. Das heisst, SRG und Swisscom erhalten noch mehr Mittel. Würde das Joint Venture realisiert, hätten wir am Schluss staatlich dominierte Medien in der Schweiz.»

Was sagen Sie zur Tatsache, dass die SRG durch die Swisscom an eine Unmenge von Nutzerdaten kommt?
Rutishauser: «Wenn ich das Schreckensszenario aufzeichnen will: Swisscom weiss, wann ich TV schaue. Sie kann mich über mein Swisscom-Handy orten. Sie weiss, wann ich wo bin, welche Inhalte ich abrufe. Das mehrheitlich staatlich kontrollierte Joint Venture weiss erschreckend viel über mich. Dadurch erhält es eine unglaubliche Power. Es wäre meiner Meinung nach ein Konstruktionsfehler, diesen staatlich dominierten Werbeverbund zuzulassen.»

Bekommt der «Tages-Anzeiger» zu diesem Thema Reaktionen aus der Bevölkerung? Beklagen sich die Leser über die Allianz?
Rutishauser: «Ehrlich gesagt, nein. Den meisten Leuten geht es darum: Funktioniert das Telefon, funktioniert der TV. Wenn das einmal nicht funktioniert, beklagen sich die Leute. Man merkt es auch selber: Wenn mich Google fragt, ob auf meinen Standort zugegriffen werden darf, sage ich ja. Man kann sich kaum noch dagegen wehren. In den 80er- und 90er-Jahren gab es noch Widerstand gegen eine Volkszählung. Das war damals ein Politikum. Heute wissen Swisscom und Google jede Sekunde, wo wir sind.»

Nun noch zu einem ganz anderen Thema: Was haben Sie an der Columbia Journalism School in New York gelernt?
Rutishauser: «In New York war ich an der Uni zusammen mit Leuten, die halb so alt waren wie ich, und habe unter anderem mit Python programmiert. Ich habe mich nächtelang damit auseinandergesetzt. Es ging darum, was man im Netz machen kann und wie man es machen kann. Was kann man aus Daten rausholen? Wie kann man diese darstellen? Ich habe eine ganze Palette verschiedener Vorgehensweisen und Techniken gelernt.»

Was speziell haben Sie übers Programmieren gelernt?
Rutishauser: «Die Ausbildung war stark auf Datenjournalismus ausgerichtet, es ging vor allem um Fragen wie zum Beispiel: Wie hole ich die richtigen Daten aus riesigen Datenbanken? Wir spielten etwa durch, wie man mit Hilfe von Python aus der Hundedatenbank von New York herausfiltern kann, wie viele kastrierte Hunde es in Harlem gibt und wie man diese Daten mit der Quote der kastrierten Hunde in Brooklyn vergleichen kann. Das war, auch wenn Hunde nicht mein Spezialgebiet sind, eine interessante Herausforderung (lacht).»

Wurden Ihnen auch Techniken gezeigt, die in Richtung Hacken gehen?
Rutishauser: «Wir setzten uns mit den unterschiedlichsten Formen des Datenjournalismus auseinander. Die Recherchearbeit eines investigativen Journalisten bleibt aber im Kern die gleiche wie bisher: Zuerst muss man an die Daten kommen. Die zweite Herausforderung ist es, mit einer Analyse der Daten Zusammenhänge herzustellen, die man nicht auf den ersten Blick erkennt.»

Was war für Sie das Spannendste während Ihrer Zeit in New York?
Rutishauser: «Spannend war unter anderem, dass hauptsächlich Frauen mit mir studiert haben. Die Ausbildung war stark technisch und mathematisch ausgerichtet, in Amerika schreckt dies Frauen offensichtlich nicht mehr ab - bei uns scheint das noch etwas anders zu sein. Ich hoffe, dass sich das auch bei uns ändert. Wir werden jetzt auch eine Kollegin neu einstellen, die in diesem Programm war. Sie war das grösste Talent in meinem Studiengang und per Zufall eine Schweizerin, die mir immer geholfen hat, wenn ich mit meinen Hausaufgaben mal wieder im Elend war (lacht).»

Wie schwierig ist es allgemein, gut ausgebildete Leute auf dem Schweizer Markt zu finden?
Rutishauser: «Da die Nachfrage nach Jobs hoch ist, ist das eigentlich nicht so schwierig. Aber es ist gerade bei stärker technisch ausgerichteten Stellen oft nicht ganz einfach im Vornherein zu erkennen, was die Leute können. Durch meine Ausbildung in New York kann ich das nun aber deutlich besser beurteilen als vorher. Man muss sich aber vielleicht auch von der Vorstellung lösen, dass Leute mit dem grössten technischen Know-how auch die schönsten Geschichten schreiben.»

Was müssen Journalisten in der heutigen Zeit des Datenjournalismus Ihrer Meinung nach können?
Rutishauser: «Ich komme ja aus dem Wirtschaftsjournalismus und habe oft Bilanzen auseinandergeschraubt. Nachher sitzt man vor einen Haufen von Zahlen, aus denen man dann seine Schlüsse ziehen und eine lesbare Geschichte machen muss, die die Leserinnen und Leser verstehen. Beim Datenjournalismus ist es haargenau gleich, einfach mit zum Teil anderen Inhalten.»

Ist das MAZ Ihrer Meinung nach genügend gut aufgestellt, um Journalisten zu produzieren, die diesen Anforderungen gerecht werden?
Rutishauser: «Ich bin mir nicht sicher. Mein Eindruck ist, dass das MAZ noch einen Schub in Richtung Technik und Datenjournalismus braucht. Das MAZ muss aber natürlich auch einen Spagat von der kleinen Regionalzeitung über ´20 Minuten´ bis hin zum Tagi oder einem Wochenblatt machen. Ich glaube nicht, dass die dort das Ei des Kolumbus gefunden haben, genau so wenig wie wir als Branche an sich.»

Würden Sie sagen, bei Journalisten, die keine Ausbildung im Datenjournalismus genossen haben, reicht «learning by doing»?
Rutishauser: «Nein, das reicht nicht mehr, es braucht auch gezielte Aus- und Weiterbildung. Aber das gilt nicht nur für den Journalismus. Mir soll mal jemand erklären, warum wir in einem Land leben, in dem zuerst sechs Stunden pro Woche Französisch gelernt wird, dann Englisch und schliesslich auch noch Latein - aber kaum jemand lernen muss, zu programmieren. Das erscheint mir zunehmend weltfremd.»