Über 13,4 Millionen Dokumente wurden den Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» im Rahmen der «Paradise Papers» zugespielt. Diese teilten sie zu Recherchezwecken mit anderen Medienhäusern - unter anderem mit Tamedia.
Hauptverantwortlich bei der Verwertung dieser Daten beim Zürcher Medienhaus waren Journalisten der «SonntagsZeitung», des «Tages-Anzeigers» und von «Le Matin Dimanche». Chefredaktor Arthur Rutishauser erklärt im Gespräch mit dem Klein Report, was für Geschichten noch in der Pipeline sind und weshalb die «Paradise Papers» einen schon lange schwelenden Konflikt mit der NZZ neu befeuert haben.
Arthur Rutishauser, was für Stories zu den «Panama Papers» dürfen wir noch erwarten?
Arthur Rutishauser: «Es werden noch ein paar Geschichten kommen, die meisten werden aber Nachzüge zu bereits publizierten Stories sein. Die gemeinsame, koordinierte Aktion der involvierten Zeitungen ist vorbei, unerwartete Schweizer Namen werden meines Wissens keine mehr auftauchen.»
Welche Auswirkungen haben die publizierten Artikel der Tamedia-Titel bisher gehabt?
Rutishauser: «Auf politischer Ebene ist sicher der Fall der SBB-Präsidentin Monika Ribar zu nennen, mit dem sich die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats zurzeit befasst. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass man in Bern auch den Machenschaften der Rohstoffkonzerne wie Glencore nachgehen wird. Die heikle Rolle der internationalen Rohstoffkonzerne mit Sitz in unserem Land setzt die Schweiz und ihre Politik unter Druck.»
Welche Ziele hat Tamedia mit der Veröffentlichung der «Panama Papers» verfolgt?
Rutishauser: «Primär wollten wir gute Geschichten für unsere Leserinnen und Leser schreiben. Wir konnten dann auch beobachten, dass es sich bei den Stories jeweils um die meistgelesenen Artikel handelte - zudem haben wir auch neue Abonnentinnen und Abonnenten gewonnen. Andererseits wollten wir natürlich auch den Ruf der Medien von Tamedia stärken. Durch die Veröffentlichung der Artikel und deren Weiterverbreitung wurde über den `Tages-Anzeiger` geredet. Das ist wichtig für unser Blatt. Dass wir unsere Rolle als vierte Gewalt auch noch ausfüllen konnten, ist umso schöner. Wir haben gezeigt, dass es politischen Handlungsbedarf gibt.»
Welche juristischen Probleme sind im Laufe der Recherche aufgetaucht?
Rutishauser: «Wir wissen nicht, wie die Daten geleakt wurden, und mussten deshalb erst prüfen, ob wir diese benutzen dürfen. Diese und weitere juristische Fragen wurden von unseren zwei Hausjuristen in Zusammenarbeit mit der Redaktion abgeklärt. Und natürlich meldeten sich wie immer verschiedene Anwälte betroffener Personen.»
Angenommen das Team stösst bei der Recherche auf potenziell strafrechtlich relevante Tatbestände: Wird dann die Staatsanwaltschaft eingeschaltet?
Rutishauser: «Nein, wir sind ja Journalisten und keine Polizisten. Zudem wirken viele Dinge auf den ersten Blick hochgradig illegal oder zumindest dubios und stellen sich bei der weiteren Recherche als ganz normal und harmlos heraus.»
Apropos Recherchearbeiten: Was raten Sie jungen Journalisten, die ins Tamedia-Rechercheteam wollen?
Rutishauser: «Definitiv gute Informatikkenntnisse, sonst ist man im Elend. Man muss programmieren können, um diese grossen Datenmengen auswerten zu können. Weiter braucht die Journalistin oder der Journalist Kenntnisse über wichtige Schweizer Persönlichkeiten und eine grosse Sorgfalt im Umgang mit heiklen Daten.»
Wie muss man sich die konkrete Recherche vorstellen? Manuell oder automatisiert?
Rutishauser: «Ein Grossteil der Recherche erfolgte automatisiert. Im Fall der `Paradise Papers` wurde eine Liste Schweizer Prominenter erstellt, die durch die Daten durchgejagt wurde. Dasselbe wurde auch für verschiedene Firmen gemacht. Danach war aber noch sehr viel klassische Recherche nötig.»
Nun noch zu einem anderen Thema: Bei Tamedia herrscht Aufregung über einen NZZ-Artikel zu den «Paradise Papers», in dem der «Tagi» nicht zitiert wird. Um was geht es genau?
Rutishauser: «Die NZZ hat es im Fall Jean-Claude Bastos fertiggebracht, konsequent nur die `Süddeutsche Zeitung` zu zitieren, obwohl der entsprechende Artikel vom `Tagi` geschrieben wurde, bei uns auf der Front erschienen ist und selbst die `Süddeutsche` unseren Journalisten als Autor angab. Offensichtlich haben sie das Gefühl, die Konkurrenz nicht direkt zitieren zu müssen. Das ist schade und schadet solchen Recherchen. Ich finde, auch zitieren gehört zur journalistischen Fairness und zum journalistischen Anstand.»