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Sonntag
25.04.2021

Medien / Publizistik

Die geplanten Medienprojekte in Bern können «höchstens einen Teil davon ersetzen, was ‚Bund’ und BZ bisher geleistet haben», meint Stadtpräsident Alec von Graffenried...

Die geplanten Medienprojekte in Bern können «höchstens einen Teil davon ersetzen, was ‚Bund’ und BZ bisher geleistet haben», meint Stadtpräsident Alec von Graffenried...

Der Medienplatz Bern bleibt in Bewegung: Kürzlich haben sich Medienschaffende mit einem Manifest gegen die von Tamedia beschlossene Fusion der Redaktionen von «Berner Zeitung» und «Bund» gewehrt. Und während die Politik über Staatsgelder für Medien streitet, stehen neue Journalismus-Projekte in den Startlöchern.

Im Interview mit dem Klein Report erklärt der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste), wie er von Tamedia über den Fusionsentscheid informiert wurde, ob die Medienvielfalt in Gefahr ist und was von der Politik zu erwarten ist.

Eine Serie zum Medienplatz Bern von Jonathan ProginKai Vogt und Ursula Klein.

Herr von Graffenried, Sie haben moniert, dass Tamedia mit der Fusion der Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» (BZ) «die eigenen wirtschaftlichen Interessen höher gewichtet als ihre medienpolitische Verantwortung». Können Sie das ausführen?
Alec von Graffenried
: «Es bleibt bei mir der Eindruck, dass die Tamedia-Führung das ‚Berner Modell’ als lästigen alten Zopf sieht, den es abzuschneiden gilt. Aber: Journalismus ist nicht nur ein Business. Journalismus vermittelt die politische Aktualität an die Bürgerinnen und Bürger und leistet damit einen wichtigen Beitrag für den Dialog. Demokratie ist Diskussion und der Journalismus bietet die Plattform dafür. Er ist ein Dienst an der Demokratie. Das erfordert von einer Verlegerschaft ein hohes Mass an Sinn für das Gemeinwohl. Sie sollte sich bewusst sein, dass sie im demokratischen Spiel eine wichtige Rolle spielt. Tamedia hat das aber nicht getan.»

Und weiter…?
Von Graffenried: «‚Bund’ und ‚Berner Zeitung’ sind im Raum Bern und im Kanton Bern die Leitmedien. Statt schon vor Jahren kreative Wege einzuschlagen und in die Zukunft von ‚Bund’ und ‚Berner Zeitung’ zu investieren, nahm der Konzern das langsame Sterben der beiden Titel in Kauf und hielt sich dabei schadlos. Warum gelingt es dem Online-Magazin ‚Republik’ inzwischen schwarze Zahlen zu schreiben, während die finanzstarke Tamedia es nicht schafft, die Traditionsblätter ‚Bund’ und BZ zu retten? Vielleicht, weil die ‚Republik’ an den Journalismus glaubt und Tamedia nicht?»

Mit einem Manifest haben sich Journalistinnen und Journalisten von «Berner Zeitung» und «Bund» gegen den geplanten Stellenabbau gewehrt. Das ist auf viel Zuspruch gestossen. Hat sich Tamedia bei Ihnen gemeldet oder generell reagiert?
Von Graffenried: «Zunächst, ich bin genauso enttäuscht wie die Medienschaffenden und unterstütze ihre publizistischen und arbeitsrechtlichen Forderungen. Was Tamedia angeht, so hat uns das Unternehmen im bisherigen Prozess und kurz vor der Publikation des Fusionsentscheids lediglich informiert.»

Ist ein Treffen oder wenigstens ein Austausch geplant?
Von Graffenried: «Eine Diskussion mit Tamedia hat noch nicht stattgefunden, ist aber für Ende Mai vorgesehen. Dieser Termin ist bereits einige Zeit vor der Fusion auf Anregung von Tamedia mit Vertretungen der Exekutiven von Kanton und Stadt vereinbart worden. An dem Treffen wird die Verantwortung von Tamedia als grosses Medienhaus und als Arbeitgeberin sicherlich ein Thema sein.»

Politik und Gesellschaft in Bern beklagen einen Verlust an Medienvielfalt. In der Bundesstadt sehen derzeit Projekte wie «Neuer Berner Journalismus» und «Neue Berner Zeitung» sowie die Idee eines Onlinemagazins der Bewegung Courage Civil in der Anfangsphase. Weshalb glauben Sie, ist die Medienvielfalt in Bern dennoch gefährdet?
Von Graffenried:
«Ich begrüsse die Initiativen zum Erhalt der Medienvielfalt. Allerdings muss man realistisch sein: Diese Projekte können höchstens einen Teil davon ersetzen, was ‚Bund’ und BZ bisher geleistet haben. Klar sind Hintergrundrecherchen und Meinungsbeiträge à la ‚Republik’ wichtig. Leitmedien, wie dies der ‚Bund’ und die BZ bisher waren, brauchen aber auch tagesaktuelle Meldungen, News-Ticker und Berichte aus den Parlamenten. Diese Knochenarbeit war zumindest bisher nicht die Spezialität derartiger Initiativen. Trotzdem wünsche ich den Initiantinnen und Initianten selbstverständlich gutes Gelingen. Sie haben den Ernst der Lage erkannt und suchen neue Wege. Das ist lobenswert.»

Wie sehen die nächsten Tage und Wochen am Medienplatz Bern aus? Sind etwa von der Politik wichtige medienpolitische Entscheide zu erwarten?
Alec von Graffenried: «Es gibt keine schnellen Lösungen. Klar ist: In den kommenden Jahren wird die Medienpolitik auch auf regionaler und kommunaler Ebene ein zentrales Thema sein. Ein erster Schritt in die richtige Richtung stellt das Informationsgesetz des Kantons dar, welches nach den Sommerferien beraten wird und vorsieht eine staatliche Medienförderung zuzulassen. Das ist ein längst fälliges Eingeständnis der Politik, dass guter Journalismus nicht dem Markt überlassen werden kann, sondern ein Service public ist. Darum steht der Staat auch in der Pflicht ihn zu gewährleisten.»

Und auf Gemeindeebene?
Von Graffenried: «Eine Möglichkeit zur Medienförderung sieht der Gemeinderat darin, die Produktion von lokalen und regionalen Nachrichten im Sinne von Agenturjournalismus beziehungsweise im Sinne eines kontinuierlichen Basisangebots durch die öffentliche Hand zu finanzieren und sie kostenlos der Öffentlichkeit sowie den Medien zur weiteren Be- und Verarbeitung zur Verfügung zu stellen.»

Was soll damit bezweckt werden?
Von Graffenried: «Damit liessen sich regionale Medienprojekte nachhaltig fördern, weil die Versorgung mit tagesaktuellem Nachrichtenstoff gesichert wäre. Die Redaktionen könnten so ihren Fokus auf Auswahl und Gewichtung sowie auf Eigenproduktionen und Recherchen richten. Auf dieser Basis könnten auch kleine Redaktionen neuartige News- und Informationsprodukte lancieren.»